junge Welt08.02.2001 Warum rufen Sie zu Solidarität mit Thung auf? jW sprach mit Muri Deljak, Mitarbeiter der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) _________________________________________________________________
F: Unter der Überschrift »Solidarität mit Thung« hat die Antirassistische Initiative Berlin (ARI) kürzlich ein Spendenkonto eingerichtet. Was steckt hinter dieser Aktion?
Am 9. Dezember vergangenen Jahres hatte eine Gruppe von Nazi-Skins auf einem Weihnachtsmarkt im sächsischen Bernsdorf mehrere Leute provoziert und angegriffen. Drei der Skins haben dann den Stand einer vietnamesischen Familie demoliert und sie rassistisch beschimpft. Daraufhin holte Thung, der 15jährige Sohn der Familie, aus der nahen Wohnung ein Küchenmesser und stach die Wortführer der Naziskins nieder. Einer der Rechten starb. Thung wurde in Untersuchungshaft genommen, wo er bis heute sitzt.
F: Bisher hat die ARI nur Opfer rassistischer Übergriffe unterstützt.
Thung war ebenfalls Opfer rassistischer Gewalt. Doch er hat die ihm zugewiesene Opferrolle durchbrochen und sich gewehrt. Wir lehnen es auf jeden Fall ab, die Tat aus dem Kontext zu reißen. Wir wollen uns in die Situation von Thung, seiner Familie und vieler anderer Nichtdeutscher versetzen, die alltäglich rassistischen Angriffen der unterschiedlichsten Art ausgesetzt sind. Wenn sie sich dagegen wehren, ist das Notwehr.
F: Wird da nicht das Notwehrrecht stark ausgedehnt? Immerhin war Thung nicht in akuter Gefahr, als er dem Neonazi die tödliche Verletzung beibrachte.
Juristisch handelt es sich nicht um Notwehr, aber auch nicht um Mord. Doch uns geht es nicht um eine juristische Beurteilung. Das wird Aufgabe der Justiz und der Anwälte sein. Wir wollen die gesellschaftlichen Zusammenhänge aufzeigen, die eine solche Tat möglich machen.
F: Kritiker könnten Ihnen den Vorwurf machen, daß Sie sich unkritisch mit einem Gewalttäter solidarisieren.
Uns geht es keinesfalls darum, Thung zum Helden zu stilisieren. Wir stellen ihn auch nicht als ein Vorbild für den antifaschistischen und antirassistischen Kampf hin. Eine solche Instrumentalisierung der Tat lehnen wir ab. Doch wir wollen die Tat im Kontext sehen und die Geschichte der alltäglichen rassistischen Diskriminierungen und Angriffe nicht außer acht lassen, mit denen Jugendliche wie Thung ständig konfrontiert sind. Unsere Solidarität gilt nicht der Tat, sondern einem Menschen, der in Bernsdorf keine Chance auf einen fairen Prozeß hat, der vorverurteilt wurde und dessen Eltern einen Tag nach der Tat den Ort verlassen mußten.
Warum?
Nicht nur Thungs Eltern, sondern sämtliche teilweise seit Jahrzehnten in Bernsdorf lebenden vietnamesischen Familien haben nach der Tat den Ort fluchtartig verlassen. Die Tat wurde sofort ethnisiert. Da wurde nur noch von »den Vietnamesen« gesprochen. Da ist nur zu verständlich, wenn sie Angst vor Racheaktionen haben und fliehen. Sie sind gezwungen, von heute auf morgen eine neue Existenz aufzubauen.
F: Was soll mit dem gespendeten Geld geschehen?
Es soll in erster Linie für die juristische Verteidigung von Thung verwendet werden. Wenn noch etwas übrig bleibt, soll damit Thungs Familie unterstützt werden.
F: Gibt es auch vor Ort Unterstützung für diese Menschen?
Es gibt in Sachsen antirassistische Initiativen, die mit den vietnamesischen Familien zusammenarbeiten. In Bernsdorf selber ist es gefährlich für die wenigen kritischen Stimmen. Da werden die rechten Schläger nicht in erster Linie als Nazis, sondern als »unsere Jungs« gesehen, selbst von Menschen, die politisch damit überhaupt nichts zu tun haben.
Interview: Peter Nowak |