junge Welt19.01.2001 Warum wollen Sie die Karl-Bonhoeffer-Klinik umbenennen? jW fragte René Talbot, Sprecher der Initiative _________________________________________________________________
(In einem Schreiben an sämtliche Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses forderte der Landesverband Psychiatrieerfahrener Berlin-Brandenburg die Umbenennung der Karl-Bonhoeffer Klinik in Berlin)
F: Der Landesverband Psychiatrieerfahrener Berlin-Brandenburg fordert die Umbenennung der Berliner Karl-Bonhoeffer- Klinik. Was stört Ihre Initiative an diesem Namen?
Karl Bonhoeffer hat sich an den Naziverbrechen der Zwangssterilisation beteiligt und sich durch seine Veröffentlichung 1934 zu einer exterministischen Ideologie bekannt. Er schreibt über Behinderte von einem »auszumerzenden Personenkreis«. Wer als Arzt so gehandelt hat, darf heute kein geehrter Namensgeber einer medizinischen Institution sein.
F: Wie reagiert die Leitung der Klinik, die ja immerhin eine Ausstellung über ihre Geschichte in der Nazizeit unter ihrem Dach beherbergt, auf Ihre Forderungen?
Mit völliger Kaltschnäuzigkeit und Einschaltung des Staatsschutzes, offenbar um die Kritiker zu kriminalisieren. Völlig erfolglos übrigens, weil ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren bisher zu keiner Anklage geführt hat. Daß die Kritik ins Schwarze getroffen hat, wird an dem Versuch deutlich, den Namen ohne offene Diskussion zu entsorgen, nur um nicht offenbar werden zu lassen, in welchem fundamentalen Zusammenhang die Nazi-Psychiatrie mit den heutigen psychiatrischen Methoden steht.
F: Welche Initiativen zur Umbenennung hat Ihr Verband bisher unternommen?
Seit 1996 haben wir die Gesundheitssenatorin aufgefordert, uns über die Tragweite des Handelns von Karl Bonhoeffer zu informieren. Durch den Petitionsausschuß des Abgeordnetenhauses wurde uns mitgeteilt, daß darüber nichts bekannt sei. Im Sommer 1998 gab man jedoch das Gegenteil zu. Wir haben die Klinik daraufhin selbst umbenannt und ein neues Eingangsschild angebracht. Dies war unser Beitrag zur 50-Jahr-Feier der UN-Menschenrechtserklärung. Die Umbenennungserklärung wurde allen Mitgliedern des Abgeordnetenhauses zugestellt, die die politische Verantwortung tragen, da das Land Eigentümer ist.
Inzwischen wurden uns von dem weltberühmten israelischen Bildhauer Igael Tumarkin zwei Assamblagen geschenkt, die er aus Büsten von Karl Bonhoeffer gefertigt hat. Mit diesen Skulpturen haben wir eine Wanderausstellung »The missing Link« vorbereitet. Die Skulpturen wurden bei der Vernissage im vergangenen Juni in der Volksbühne vom Staatsschutz beschlagnahmt. Die erklärenden Ausstellungstafeln konnten inzwischen u. a. im Bundesministerium für Umweltschutz und in der Berliner Ärztekammer gezeigt werden. Ab 24. Januar wird die Ausstellung im Pressehaus zu sehen sein und ab 21. Februar im jüdischen Krankenhaus in Berlin.
F: Sie hatten sich mit Ihrer Initiative auch an sämtliche Parlamentsfraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus gewandt. Wie war die Reaktion?
Am 16. Oktober haben wir nochmals sämtlichen Parlamentariern des Abgeordnetenhauses Dokumente über Karl Bonhoeffers Veröffentlichung zukommen lassen. Wir forderten erneut die sofortige Umbenennung, die Einstellung der Verfahren des Staatsschutzes und die Freigabe der Kunstwerke von Igael Tumarkin. Die Reaktionen sind beschämend und zeigen, daß das ganze regierungsamtliche Anti-Nazi-Getue eine Show ist. Leider scheint auch die PDS bisher unsere Fragen zu verdrängen.
F: Welche Wege bleiben Ihnen also noch offen?
Wir bemühen uns in Zusammenarbeit mit unserem »Lehrstuhl für Wahnsinn« um ein Symposium an der Freien Universität in Berlin: »Karl Bonhoeffer und die medizinalisierte Politik«. Auch dazu werden wir alle Abgeordneten einladen.
Interview: Peter Nowak |