Frankfurter Rundschau18.10.01 Rasterfahndung Juristen kritisieren Daten-"Sammelwut"
BERLIN / MÜNSTER. Der heftigen Kritik von Studierenden-Ausschüssen an der laufenden "Rasterfahndung" gegen ausländische Kommilitonen schließen sich auch Rechtsprofessoren an: Nach Ansicht von Thomas Hoeren, Juraprofessor an der Universität Münster, erweckt das Vorgehen der Sicherheitsbehörden den Eindruck, "dass die Gunst der Stunde genutzt wird, um die Daten zu bekommen, derer man schon immer habhaft werden wollte". Laut Hoeren, der am Institut für Informationsrecht lehrt, komme den Ermittlern "ein gewisser Überrumpelungseffekt und die Scheu", sich nach den Terror-Attentaten in den USA "auf datenschutzrechtliche Bestimmungen zu berufen, nur gelegen".
Hoeren mahnt in einer Stellungnahme für den Hochschulnetzwerkbetreiber DFN dazu, jede Aufforderung an Hochschul-Verwaltungen, komplette Datenbestände zum Abgleich bei der Polizei herauszugeben, in Ruhe zu prüfen und die Begründung zu studieren. Bei Auskunftsverlangen zur konkreten Strafverfolgung sei eine richterliche Anordnung notwendig, bei der Kontrolle zwecks Verhinderung künftiger Straftaten gälten genaue landesrechtliche Vorschriften. In jedem Falle müsse die Ermächtigungsgrundlage genannt werden.
Mehrere ASten in Nordrhein-Westfalen gewähren den gegen die Rasterfahndung klagenden Kommilitonen Rechtsschutz und Finanzmittel. Studierende aus Siegen haben beim Landgericht Düsseldorf Eilanträge gegen die Herausgabe ihrer Daten eingereicht. Die Hochschule speichert neben Namen, Geburtsdaten und Adressen auch Angaben zum Studienverlauf. Das Düsseldorfer Amtsgericht hat der Landesregierung Anfang Oktober grünes Licht für die Rasterfahndung gegeben. Begründet wird sie mit Gefahrenabwehr.
Doch daran zweifeln auch Sicherheitsexperten. So bezeichnet der an der Humboldt-Universität Berlin lehrende Staatsrechtsprofessor Martin Kutscha die Rasterfahndung als puren Aktionismus. Millionen von Datensätzen würden erhoben, die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung auf den Kopf gestellt, ohne dass eine nennenswerte Chance auf Erfolg bestünde.
"Ich bin Araber, und das ist auch gut so"; hieß der Titel der Presseerklärung, mit der kürzlich der ReferentInnenrat der Berliner Humboldt-Universität an die Öffentlichkeit getreten ist. Die Studierendenvertretung protestierte damit gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten, der alle Berliner Universitäten aufforderte, sämtliche personenbezogene Daten ihrer arabischen Studierenden dem Landeskriminalamt (LKA) für ihre "Rasterfahndung" gegen angebliche Terrorverbindungen offen zu legen.
Das Berliner Landeskriminalamt hat bereits am 17. September alle größeren Hochschulen zur Herausgabe der Daten von Studierenden 15 verschiedener Staatsangehörigkeiten aufgefordert. Während die Universitäten Technische Universität (TU) und Humboldt-Universität (HU) den Gerichtsbeschluss über die Zulässigkeit dieser Anfrage abwarteten, hat die FU die vom LKA angefragten Daten sofort zur Verfügung gestellt.
"In Berlin sind mehr als 800 junge Menschen auf Grund ihrer Herkunft einem Pauschalverdacht ausgesetzt und Opfer rassistischer Diskriminierungen", befürchten die Studierendenvertrete. Sie wollen verhindern, dass arabische Kommilitonen stigmatisiert werden.
Erste Anzeichen dafür sind schon bekannt geworden. So wurden arabische Studenten bei der Jobsuche diskriminiert, und manche überlegen sich, ob sie im neuen Semester wieder in die Universität gehen sollen. Sie fürchten Ablehnung und sogar Hass ihrer deutschen Kommilitonen. "Eine Rasterfahndung, die als zentrales Verdächtigungsmerkmal die Staatsangehörigkeit wählt, trägt zur Verschärfung rassistischer Ressentiments bei", lautet die Kritik der Studentenvertreter. feu/pnw |