junge welt05.10.2001Alternativen zu Vergeltungsschlägen
Friedensorganisationen berieten in Berlin über drohende Gewaltspirale
Angesichts der allgemeinen Erwartung, daß es in Kürze einen militärischen Vergeltungsschlag der USA gegen Afghanistan geben wird, bemühen sich viele Befürworter dieser Option, die Begrenztheit künftiger Aktionen hervorzuheben. Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung hingegen hält davon gar nichts, wie er auf einem Hearing der Naturwissenschaftler-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit am Mittwoch in Berlin ausführte. »Wenn es einen Militärschlag gegen ein arabisches Land gibt und die Aktion von der dortigen Bevölkerung als Kampf gegen den Islam interpretiert wird, droht ein Heiliger Krieg von 1,2 Milliarden Moslems gegen die Angreifer.« Galtung will das nicht als Panikmache, sondern als realistische Zustandsbeschreibung verstanden wissen. Auch Friedensorganisationen von Ärzten und Juristen unterstützten die Veranstaltung mit dem Titel »Gewaltlose Alternativen zur Vergeltungskette«. Trotz der kurzfristigen Terminansetzung waren zirka 100 Interessierte erschienen. »Wir wollten der Spirale von Krieg und Gewalt unsere eigenen Vorstellungen entgegensetzen«, erklärte der Geschäftsführer der Naturwissenschaftler-Initiative und Organisator der Tagung, Rainer Braun, gegenüber jW.
Galtung verwies ferner darauf, daß sich die USA mit ihrer Außenpolitik viele Feinde geschaffen habe. Sollte es zu einem Militärschlag kommen, bewege sich die USA auf gleicher Ebene wie die Attentäter von New York und Washington. Als Alternative schlug er eine begrenzte Polizeiaktion vor, um die Schuldigen an den Terroraktionen festzunehmen, die dann vor einem internationalen Gerichtshof einen Prozeß nach rechtsstaatlichen Maßstäben erhalten müßten. Mangels Alternativen würde sich der Gerichtshof von Den Haag anbieten. Daß der sich gerade mit seinem Vorgehen in Jugoslawien nicht gerade den Ruf besonderer Unabhängigkeit erworben hat, ließ er dabei unerwähnt. Recht ausführlich widmete sich Galtung dem Nahost-Konflikt. Er prognostizierte eine zunehmende Isolierung Israels auch in der westlichen Welt und sogar in den USA. Als aktuellen Beleg zitierte er eine kürzlich gefallene Äußerung aus der Bush-Administration, daß die US-Regierung einen palästinensischen Staat anerkennen werde. Eine Lösung des Konflikts müsse die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge beinhalten. Dabei könne nur über das Wie, nicht über das Ob verhandelt werden. In Afghanistan sei eine dauerhafte Konfliktlösung nur gemeinsam mit den Taliban möglich, meinte der Friedensforscher. Dem mochte sich die stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Margret Mönig-Raane, nicht anschließen. Die Taliban seien schon wegen ihrer frauenfeindlichen Haltung für sie keine Gesprächspartner. Ansonsten blieb Mönig-Raane in ihren Ausführungen zur Diskussion über Krieg und Frieden in ihrer Gewerkschaft eher vage und räumte ein, »mehr Fragen als Antworten zu haben«. Eine Militäraktion wollte sie jedoch nicht ausschließen.
Peter Nowak |