TELEPOLIS18.09.2001 Nachdenken über politischen Bedingungen
Peter Nowak
Friedensgruppen warnen vor Marsch in den Krieg
Eine kleine Meldung in der Tageszeitung [0] vom vergangenen Samstag machte eindringlich deutlich, dass das nach den Anschlägen von New York und Washington viel strapazierte Statement, nach dem 11.September sei nichts mehr wie zuvor, mehr als eine Worthülse ist. Eine in Bramsche bei Osnabrück lebenden Flüchtlingsfrau aus Palästina droht die Abschiebung, weil sie in einem Radiointerview erklärt haben soll, angesichts des Leidens und der vielen Toten in ihrer Heimat könne sie nicht über die Ereignisse in den USA trauern.
Eigentlich hätte man von der TAZ, die einmal die Verteidigung der demokratischen Rechte auch für Minderheiten auf ihre Fahnen geschrieben hatte, einen Hintergrundartikel dazu erwarten können. Doch sie beließ es bei der kommentarlosen Veröffentlichung der epd-Meldung. Statt dessen echauffierte sie sich in der gleichen Ausgabe über die Kollegen von der jungen Welt [1]. Die hatten es nämlich schon am Mittwoch gewagt, aus der Phalanx auszuscheren und sich den Ereignissen in den USA analytisch zu nähern. Bei aller Trauer um die Toten wurde daran erinnern, dass es in vielen Gegenden vor allem der 3.Welt Menschen gibt, die einen großen Hass auf die USA-Repräsentanten haben. Dabei wurde von Vietnam über Chile und Grenada an kriegerische Phasen der US-Außenpolitik in den letzten 20 Jahren erinnert.
Solche Überlegungen hatten kürzlich die in New York lebende Schriftstellerin Susan Sonntag und der US-Linguist Norman Chomsky formuliert. Doch in Deutschland führte der jW-Kommentar von TAZ bis FAZ zu empörten Reaktionen. Wie im berüchtigten Deutschen Herbst gilt jetzt wieder die Devise, dass in Krisenzeiten kritisches Denken, das nach den Ursachen von Gewalt fragt, gleich des Sympathisantentums verdächtigt wird.
Trotzdem haben sich in den letzten Tagen eine Reihe von Gruppen und Organisationen zu Wort gemeldet, die vor der Logik von Rache und Vergeltung warnen, auf die sich die USA und die NATO vorbereiten. So erinnerte die in Tübingen beheimatete Informationsstelle Militarisierung e.V. [2], dass bisher noch völlig offen ist, wer hinter diesen Aktionen steckte: "Es ist dringend vor Vorverurteilung zu waren. Dann tauchte der Name Usama Ibn Ladin auf und wird bisher immer wieder genannt. Was bisher fehlt sind Fakten und Hintergründe. Die Frage, was jemanden oder eine Gruppe dazu bringt, solche Mega-Anschläge durchzuführen, muß gestellt werden. Auch muß die Frage erlaubt sein, warum gerade die USA (und dort gerade das World Trade Center und das Pentagon) Ziel dieser Mega-Anschläge geworden sind."
Der Bundesausschuss des Friedensratschlages [3], eine bundesweite Koordinationsstelle verschiedener Friedensinitiativen, schreibt: "Gegen Terrorismus und wahnsinnsgeleitete Aktionen blinder Gewalt gibt es keinen hundertprozentigen Schutz. Eine Politik, die den Terrorismus wirksam bekämpfen und eindämmen will, muss ihm den sozialen, politischen und ideologischen Nährboden entziehen, in dem er gedeiht." Im Anschluss verfallen die Verfasser wieder in den belehrenden Tonfall, der schon bei der verblichenen Friedensbewegung der 80er Jahre unangenehm aufgefallen war: "Wann endlich wird begriffen, dass Sicherheit heute nicht mehr durch noch so "perfekte" militärische Sicherheitsvorkehrungen gewährleistet werden kann?" fragen sie, als hätten Militärs und Politiker ihr Lernziel noch nicht erreicht.
Politischer argumentiert da schon der Aufruf Brücken bauen - Gewalteskalation verhindern [4], der von mehr als 30 Friedensorganisationen aus der gesamten Republik unterzeichnet wurde. "Nachzudenken ist auch über die politischen Bedingungen, die es möglich gemacht haben, dass ein Teil der Menschen in einigen Völkern "den Westen" und insbesondere die USA so hasst, dass eine Gruppe von Terroristen anscheinend meint, sich bei ihrem Massenmord auf diese Unterdrückten beziehen zu können."
Aus dem Kreis dieses Friedensbündnisses kommt auch der Aufruf zu einem friedenspolitischen Ratschlag [5], der am kommenden Samstag unter dem Motto "Keine Rache - Keinen Krieg" in Kassel stattfinden wird. Ob das von den Veranstaltern gesteckte Ziel, die Friedensbewegung gegen die Kriegsvorbereitungen zu mobilisieren, erreicht wird, muss angesichts der jahrelangen Schwäche dieser Bewegung mit erheblichen Fragezeichen versehen werden. Dabei erhalten sie Unterstützung auch von renommierten Friedensforschungsinstituten wie dem Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit [6], deren Leiter Otfried Nassauer für eine größere Akzeptanz anderer Kulturen, Religionen und Gesellschaftsstrukturen plädiert.
Nicht nur in Deutschland melden sich verstärkt Friedensgruppen zu Wort. Auch in den USA wird eindringlich vor einem weiteren Drehen an der Gewaltspirale gewarnt: So plädiert die in den USA ansässige Womens International League for Peace [7] für die Stärkung von zivilen Rechten statt weiterem Säbelrasseln. Das in New York beheimatete Internationale Action Centrum [8] ging in seiner politischen Einschätzung noch weiter: "Die Bush-Regierung will die gegenwärtige Krise ausnutzen, um eine weitere Erhöhung des Kriegshaushalts des Pentagon zu rechtfertigen, und zwar zu Lasten der Mittel für Wohnung, Erziehung, Gesundheit, Arbeitsbeschaffung und andere menschliche Bedürfnisse." Die Antimilitaristen befürchten auch eine repressivere Innenpolitik im Windschatten der weltweiten Empörung über die Anschläge.
Erste Anzeichen dafür gibt es nicht nur in den USA. Der grüne Bundestagsabgeordnete Christoph Ströbele äußerte in einem Fernsehinterview gar die Befürchtung, dass bei einem Fortdauer der Krise die Notstandsgesetze in Kraft treten könnten. Spätestens dann, wenn der NATO-Beistandspakt umgesetzt würde, könnte es soweit sein. |