junge Welt16.03.2001 Stößt die Politik der Zapatistas an ihre Grenzen? jW sprach mit dem Lateinamerika-Experten Albert Sterr _________________________________________________________________
(Autor u. a. der im Neuen ISP-Verlag erschienenen Bücher »Die Linke in Lateinamerika« und »Che's Erben«)
F: Der Marsch der EZLN-Führung von Chiapas in die mexikanische Hauptstadt wurde zu einem großen Medienspektakel, an dem scheinbar die gesamte Bevölkerung Anteil hatte. Gibt es keine EZLN-Gegner in Mexiko mehr?
Dieser Marsch in die Hauptstadt fand wahrlich nicht die ungeteilte Zustimmung in Mexiko. Erklärte Gegner der EZLN befinden sich in führenden Positionen der PAN, der Partei des mexikanischen Präsidenten, sowie bei führenden Klerikalen und Vertretern von Unternehmerverbänden. Aus diesen Kreisen wird der Präsident wegen seiner zu nachgiebigen Haltung gegenüber der EZLN heftig kritisiert. Daß EZLN- Hasser in Mexiko zur Zeit in der Minderheit sind, hat zwei Gründe. Die Vorherrschaft ihrer Position würde die Fortsetzung des Krieges gegen die EZLN und die Militarisierung der mexikanischen Innenpolitik insgesamt bedeuten. Der andere Grund ist die Politik des Präsidentialismus in Mexiko. Daß heißt, der gewählte Präsident bestimmt die Richtlinien der Politik. Vincente Fox hat sich nun mal zur Umarmungsstrategie gegenüber der EZLN entschlossen.
F: Mexikanische Linke kritisieren, daß sich in der letzten Zeit die zapatistische Rhetorik vom Kampf für die allgemeine sozialen Emanzipation zur Verteidigung der Rechte der indigenen Bevölkerung verschoben hat. Sind die Zapatistas in die Ethnofalle getappt?
Es sind vor allem pragmatische Gründe, die die Zapatistas nach dem Fehlschlag der diversen linken Organisationsversuche veranlaßten, sich wieder mehr auf ihre eigentliche Basis in den indigenen Gemeinden zu konzentrieren. Das ist allerdings keine Abwendung von einer linken Orientierung. Schließlich gehört die überwiegende Mehrheit der Indios zu den Armen. Dahinter steckt auch keine ethnizistische Position. Schließlich ist die Mehrheit der sozialen EZLN-Basis selbst erst vor 30, 40 Jahren in ihre jetzigen Dörfer eingewandert. Sie haben ihre ursprünglichen Regionen in Chiapas wegen zunehmender Armut verlassen müssen.
F: Neben der EZLN existieren in Mexiko noch drei weitere Guerillagruppen, denen kein triumphaler Empfang in Mexiko- Ciudad beschert wird. Besteht nicht die Gefahr einer Spaltung in gute Zapatistas und den Rest der bösen Guerillas?
Es hat in den 90er Jahren tatsächlich eine große Distanz der EZLN zu den anderen Guerillaorganisationen in Mexiko gegeben. Doch zur Jahreswende 1999/2000 hat die Organisation ihre Haltung in dieser Frage geändert. Anläßlich des Marsches von 1 111 Zapatistas in sämtliche indigenen Gemeinden hatte Subcomandante Marcos Kontakt zur EPR aufgenommen, damit sie die Aktion in den von ihr beeinflußten Gebieten zuläßt. Das ist auch geschehen. Diese Kontakte gab es im Vorfeld des jüngsten zapatistischen Marsches. In einer Rede in der mexikanischen Kleinstadt Iguala dankte Marcos allen drei Guerillagruppen ausdrücklich für ihre Bereitschaft, die Zapatistas in die von ihnen beeinflußten Regionen zu lassen. Die Zapitistas haben ihre Bündnispolitik nach links ausgeweitet, was eine Spaltung in »gute« und »böse« Guerillas erschwert.
F: Welche Druckmittel hat die EZLN noch, wenn der Medienrummel vorbei ist und keine befriedigenden Ergebnisse erzielt werden? Schließlich kann sie nicht einfach den bewaffneten Kampf wieder aufnehmen.
Es ist klar, daß die Zapa-Tour die maximale Anstrengung der EZLN darstellte und nicht beliebig wiederholbar oder gar zu steigern ist. Damit gelang es den Zapatistas, die Regierung in die Defensive zu drängen. Zum bewaffneten Kampf will die EZLN eigentlich nicht wieder zurückkehren. Ihr stärkstes Druckmittel und Hauptverbündeter ist die mexikanische Zivilgesellschaft. Die Zapatistas sind natürlich bestrebt, dieser Zivilgesellschaft klarzumachen, daß ihre Vorstellungen eines Friedensschlusses mit Herstellung der sozialen Gerechtigkeit verbunden ist und nichts mit der Befriedung und der Friedhofsruhe zu tun hat, wie sie dem mexikanische Präsidenten vorschwebt. Natürlich ist die Regierung auch nicht dumm und kann es in Sachen Werbung und Propaganda mit der EZLN aufnehmen. Es ist letztlich ein Kampf um die politische Definitionsmacht, dessen Ausgang völlig offen ist.
Interview: Peter Nowak |