junge Welt 20.07.2001Ist politischer HipHop wieder in? jW sprach mit Murat Güngör, Labelmanager von 3Finger Records und Mitglied von Kanak Attak _________________________________________________________________
F: »Dieser Song gehört uns« ist der Titel des aktuellen Hip- Hop-Tracks von Kanak Attak, der sich, wie Sie schreiben, um die »Erfahrungen von in Deutschland lebenden Kanaken dreht«. Wie ist er entstanden?
Man muß dazu sagen, daß der Song nicht etwa einer Gruppe gehört, sondern das Resultat einer Zusammenarbeit ist. Es gab bei Kanak Attak von Anfang an die Idee, künstlerische und politische Praktiken zu verknüpfen. Einige bei uns sind selbst Musikerinnen oder Musiker, und so haben wir die bestehenden Kontakte genutzt, um ein Treffen zu organisieren, bei dem Leute von Kanak Attak mit HipHopern und anderen Künstlern erstmals diskutierten. Auch während der Produktion noch hat es Diskussionen gegeben.
F: In den Medien wird der Track als Versuch bewertet, HipHop und Politik wieder zusammenzubringen. Haben Sie dieses ehrgeizige Ziel?
Nicht nur Politik und HipHop. Das Ziel dieser Produktion ist eher, musikalisch auf den Punkt zu bringen, was in Artikeln und Manifesten kaum sagbar ist. Nämlich über den Rassismus in diesem Land zu sprechen und das nicht bloß als bemitleidenswertes Opfer, sondern aus einer neuen Haltung heraus. Kanakinnen und Kanaken sagen: So kann es nicht weitergehen. In diesem Sinne ist auch der Song »Adriano« vom Projekt Brothers Keepers zu begrüßen. Ein fetter Track ganz in unserem Sinne.
F: Ist Ihre Arbeit auch die Antwort auf eine deutsche Hip- Hop-Szene, die sich eher für das Kiffen als für den Rassismus in diesem Land interessiert?
Ja, wobei Kiffen auch nicht schlecht ist.
F: Ist in dieser Hinsicht Frankreich, wo es schon lange eine sehr rege und politisch aktive HipHopSzene unter Immigranten gibt, ein Vorbild?
In der Tat. Unser Song ist dem französischen »11:30 contre les lois racistes« nachempfunden. Das ist ein Track, auf dem so ziemlich alle tonangebenden französischen Rapper mit kanakischem Background vertreten sind, von IAM über Menelik bis Assasin. Das Ganze wurde vom Mouvement de L'Immigration et des Banlieues ins Leben gerufen, zu dem wir auch Kontakt haben.
F: Warum verwenden Sie den eigentlich rassistisch besetzten Begriff der Kanaken?
Etwas ist so lange mit einer bestimmten Bedeutung besetzt, bis man sich von ihr freimacht.
F: Gibt es so etwas wie die Geburtsstunde von Kanak Attak?
Es gibt immer das Bedürfnis, irgendeinen Punkt in der Geschichte zu fixieren. Das ist zwar verständlich, aber mythologisierend. Denn eine Bewegung oder eine neue Idee entsteht nicht einfach, weil sie sich irgend jemand ausdenkt, am Ende ein Genie! Etwas Neues ist immer das Produkt objektiver Konstellationen und der Unzufriedenheit von Leuten in einem weiteren Sinn. So gibt es nur Tendenzen und Strömungen innerhalb derer es plötzlich nötig, wichtig und zukunftsweisend scheint, mit den alten Mustern und Vorstellungen zu brechen. Ein paar Leute setzen sich zusammen und formulieren eine Idee. Schreiben ein Manifest. Wenn das keinen interessiert hätte, gäbe es Kanak Attak nicht. Solange die Idee dieses Projekts von den Massen nicht ergriffen wird, wird die wahre Geburtsstunde wohl noch auf sich warten lassen.
F: Gibt es in der Migrantenszene in Deutschland einheitliche Erfahrungen und Interessen, die Kanak Attak ausdrückt?
Einheitliche Erfahrungen wohl kaum. Aber bestimmte Ähnlichkeiten, die Konfrontation mit Rassismen in Almanya, Deutschland, erleben alle hier lebenden Kanaken und Kanakinnen. Dennoch sind die Unterschiede zwischen beispielsweise einer Flüchtlingsgruppe wie »The Voice«, die für ihr Grundrecht auf freie Bewegung kämpft, nicht zu vergleichen mit einer Migrantin der zweiten Generation, die um Repräsentationsformen im akademischen Betrieb ringt. Diese Unterschiede wollen wir nicht überdecken. Dennoch hoffen wir eine Ausdrucksform für möglichst viele Kanaken zu sein, die von ihren jeweiligen gesellschaftlichen Positionen aus die objektiven Gegebenheiten angreifen, unter denen sie ganz unterschiedlich rassistisch subordiniert werden. Und bestimmte Rassisten fragen sowieso nicht nach Paß, Herkunft oder ökonomischer Verwertbarkeit; da werden alle Katzen schwarz.
F: Was sind Ihre zukünftigen Projekte?
Kanak Attak befindet sich in einer Phase des Erfolges. D.h., wir haben im Moment Zugang zu sehr privilegierten gesellschaftlichen Ebenen. Theater, Gewerkschaften, Stiftungen, Teile der politischen Klasse oder des akademischen Apparats bekunden verstärkt Interesse an uns. Wir werden diese Privilegien nutzen, um unsere Inhalte auf prominenter Ebene popularisieren zu können. Gleichzeitig wissen wir, daß wer mit dem Teufel Pudding ißt, Löffel mit langen Stielen braucht. Deshalb ist die Verankerung bei den Kanaken auf der Straße sowie die Arbeit innerhalb der Linken in diesem Land für Kanak Attak absolut notwendig. Erfreulicherweise sehen wir auch hier viel Zustimmung und solidarische Kritik an unserem Projekt. Es gründen sich an immer mehr Orten Kanak-Attak-Gruppen und die Zusammenarbeit innerhalb der antirassistischen Linken verläuft sehr produktiv. Kurz gesagt: Unser Projekt ist es, gleichzeitig Popstars und politische Kanak-Bewegung zu werden. |