junge Welt26.01.2001 Gefangene und Kunden Der Stand der Dinge oder wie politisch kann Kunst heute sein - Catherine David sucht Antworten _________________________________________________________________
Politik und Kunst passen irgendwie nicht zusammen in den letzten Jahren. Wer sich dieser Erkenntnis zuletzt widersetzte, bekam das zu spüren. Die französische Künstlerin Catherine David beispielsweise hatte sich vor zwei Jahren heftige Medienschelte eingehandelt, weil sie als Verantwortliche der Documenta Gesellschaftskritik und Kunst nicht als Gegensatz behandeln wollte. Doch sie hat ihr Programm nicht verändert. Das dokumentiert die Ausstellung »Stand der Dinge, Teil 1«, die zur Zeit im Museum Kunstwerke in Berlin zu sehen ist, kuratiert von Catherine David. Hier wird eine Auswahl neuer Arbeiten vor allem auf den Gebieten Video und Fotografie aus unterschiedlichen Regionen der Welt präsentiert.
Gleich am Eingang werden die Besucher mit der harten Realität in US-amerikanischen Gefängnissen konfrontiert. Die knapp 25minütige Filmsequenz des bekannten Filmemachers Harun Farocki mit dem Titel »Ich glaubte Gefangene zu sehen« zeigt, wie politisch doch die Postmoderne sein kann, und daß manch traditionslinkes Generalverdikt dagegen eher aus Vorurteilen denn aus Sachkenntnis gespeist ist. Farocki setzt filmisch um, wofür der französische Philosoph Michel Foucault ein dickes Buch brauchte. »Überwachen und Strafen« heißt das Grundmotto dieses Films.
Farocki hat sich immer wieder mit den Themen Gefangenschaft und Repression befaßt, und das hat durchaus biographische Gründe. Er studierte Ende der 60er Jahre mit dem späteren RAF-Mitglied Holger Meins an der Berliner Filmakademie und drehte die ersten kleinen Filme. Mit Meins und vielen anderen Künstlern teilte er die Euphorie des gesellschaftlichen Aufbruchs. Beide wurden wegen ihrer politischen Aktivitäten von der Filmhochschule relegiert.
Während Meins Jahre später im Hungerstreik starb, mit dem er sich gegen die Isolationshaftsbedingungen wehrte, wurde Farocki durch seine Mitherausgabe der heute schon legendären Zeitschrift Filmkritik bekannt. In seinen aktuellen Projekten geht er in die Hochsicherheitsgefängnisse der USA und zeigt, wie dort jede Lebensäußerung der Gefangenen bis ins Detail kontrolliert, protokolliert und ausgewertet wird. Nichts bleibt der Knastleitung verborgen. »Sie haben kaum etwas. Nur ihren Körper, und die Zugehörigkeit zu einer Gang« heißt es aus dem Off. Gezielt werden Konflikte unter den Gefangenen erzeugt und geschürt, indem Mitglieder verfeindeter Gangs in eine Zelle gesteckt werden. Die Wärter schließen untereinander Wetten ab, wann die nächsten Prügeleien losgehen. Höhepunkt von Farockis Kurzfilm ist die detailgenaue Dokumentation der Erschießung des jungen Gefangenen William Martinez während einer solchen Schlägerei. Der Schwerverletzte lag noch neun Minuten im Gefängnishof. Als er von Wärtern schließlich auf einer Bahre abtransportiert wurde, war er schon tot. Daß es in der Filmsequenz nicht nur um die Situation in den Gefängnissen geht, wird spätestens dann deutlich, wenn das perfekte Überwachungssystem im Hochsicherheitstrakt plötzlich in bezug gesetzt wird zum Überwachungssystem in Einkaufszentren. Die bunten Punkte auf dem Monitor sind jetzt nicht Gefangene, sondern Kunden, und wenn man sie anklickt, erscheinen die im Einkaufswagen gestapelten Waren.
Doch die kunstinteressierten Besucher werden sich tiefergehende Gedanken über das Verhältnis zwischen den Überwachungsmethoden vor und hinter den Gefängnismauern machen. Für viele ist der Film wohl zu harte Kost. Die wenigsten verweilen länger als ein paar Minuten vor den beiden Fernsehmonitoren.
Doch auch die übrigen in den drei Etagen der Kunstwerke ausgestellten Installationen haben den gleichen realistischen Blick auf die Gegenwart. »Ihr Intellektuellen habt die Situation nicht realistisch genug gesehen«, äußert die seit mehreren Jahren inhaftierte kurdische Parlamentarierin Leyla Zana in einem vom Filmemacher Andreas Weiss mit der türkischen Journalistin Leyla Ulmer arrangierten Streitgespräch. »Letter to my Enemy« heißt der Kurzfilm, der die Unterdrückung der kurdischen Minderheit in der Türkei zum Thema hat.
Gleich mehrere Künstler beschäftigen sich mit dem Konflikt im Nahen Osten. Erfreulich, daß dabei in erster Linie versucht wird, den Menschen Stimme und Gesicht zu geben. Auf einem Bildschirm wird beispielsweise gezeigt, wie die libanesische Bevölkerung den Rückzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon begrüßt. Doch es geht hier nicht etwa um eine vorschnelle Parteinahme in einem komplexen Konflikt, sondern um die Protagonisten auf beiden Seiten, die ihre Wünsche und Utopien in die Auseinandersetzungen einbringen. Das zeigt sich am Prägnantesten in den Werken der israelischen Fotografin Elfrat Shvily. Auf einer Wand sind sämtliche Mitglieder des palästinensischen Kabinetts fotografiert, die zwar seit Jahren im Amt, aber vor allem im Westen fast völlig unbekannt sind, weil sich alles auf die Figur Yassir Arafat konzentriert. Auf einer anderen Wand sind jüdische Siedlungen im Westjordanland drapiert. »Durch die völlige Abwesenheit einer menschlichen Präsenz sprechen diese stillen Fotografien Bände; sie zeugen von den Utopien, Wünschen und Visionen der Siedler, von lauernder Gefahr und von den politischen und menschlichen Spannungen«, heißt es im Ausstellungskatalog.
Das Element der Zurückhaltung und eine wohlbegründete Skepsis gegenüber jeglichen Äußerungsformen dröhnender Selbstpositionierung scheint oberstes Gebot der von Catherine David zusammengestellten Werke zu sein. Dem politischen Gehalt der Ausstellung tut dies keinerlei Abbruch.
Peter Nowak |