junge Welt 14.07.2001 Wie gegen RAF-Gefangene Anwälte und Menschenrechtler prangerten Haftbedingungen von Globalisierungsgegnern in Schweden an _________________________________________________________________
Totalisolation, Besuchs- und Telefonierverbote, keine freie Anwaltswahl: das sind die Bedingungen, unter den seit dem 15. Juni drei junge Globalisierungsgegner in schwedischer Haft sitzen. Sie haben mit Tausenden anderen Menschen gegen den in Göteborg tagenden EU-Gipfel demonstriert und wurden auf dem Weg zu ihren Schlafplätzen festgenommen. Jetzt sind Angehörige und Freunde der Inhaftierten mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit gegangen, der am Freitag auf einer Pressekonferenz im Berliner IG-Medien-Haus vorgestellt wurde. Unter den fast 100 Unterstützern des Briefes befinden sich neben zahlreichen Bundestagsabgeordneten der PDS und Politikern des Berliner Landesverbandes von Bündnis 90/Die Grünen auch einige Gewerkschafter. Schließlich ist einer der in Schweden Inhaftierten Mitglied im Jugendausschuß des IG-Medien-Landesbezirks.
In dem Brief wird die Aufhebung der Isolationshaft für die Gefangenen und ein gerechtes Verfahren für die Angeklagten gefordert. Daß davon keine Rede sein kann, machten mehrere Redner deutlich. So vertritt der Berliner Rechtsanwalt Volker Ratzmann einen der Inhaftierten. Doch besuchen durfte er ihn bis heute nicht. Die schwedischen Behörden verweigern strikt die Hinzuziehung von auswärtigen Anwälten. Mit deutscher Polizei hatten sie hingegen weniger Probleme. Schon während des EU-Gipfels waren deutsche Beamte in Schweden anwesend.
Mittlerweile hat die schwedische Polizei im Zuge ihrer Ermittlungstätigkeit gegen die Inhaftierten auch Personen in der BRD angeschrieben. Ratzmann erinnern die Haftbedingungen, denen die Globalisierungsgegner ausgesetzt sind, an die Methoden, die in den 70er Jahren gegen RAF-Gefangene in der BRD praktiziert wurden und heute gegen politische Gefangene in der Türkei angewandt werden. Selbst dort sei es noch einfacher gewesen, die Gefangenen zu besuchen als jetzt in Schweden, so der Anwalt.
Auch der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Hans- Christian Ströbele hat mittlerweile in einer Presseerklärung ein faires Verfahren gegen die Demonstranten gefordert. »Die bisher entgegengesetzte Behandlung ist mit dem auch von Schweden anerkannten Menschenrecht auf faires Verfahren nicht zu vereinbaren«, kritisierte Ströbele auf der Pressekonferenz. Der Politologieprofessor an der Berliner Freien Universität (FU), Wolf-Dieter Narr, ging noch einmal auf die politischen Hintergründe der Göteborger Proteste ein. Er bezeichnete die Demonstrationen als eine Form von Gegenöffentlichkeit gegen demokratisch nicht legitimierte Entscheidungen, wie sie sowohl beim EU-Gipfel als auch bei dem nächste Woche beginnenden Weltwirtschaftsgipfel in Genua getroffen wurden bzw. werden. »Es geht dort nur um die Freiheit der Waren und des Kapitals, nicht aber um die Freiheit der Demonstranten und Kritiker«, so die Schlußforderung von Narr. Heftig ins Gericht ging er mit den »populistischen Sprüchen von Schröder, Schily und Fischer«. Diese Politiker hatten sich angesichts der massiven Proteste in Göteborg für ein hartes Durchgreifen gegen Demonstranten ausgesprochen. Die Repressionen gegen die Globalisierungsgegner könnten sich in Genua wiederholen.
Wie am Rande der Pressekonferenz bekannt wurde, bekamen allein in Berlin zahlreiche Personen in den letzten Tagen Post vom Landeskriminalamt. Sie müssen sich in der kommenden Woche täglich bei der Berliner Polizei melden und dürfen zehn namentlich genannte Länder, darunter Italien, nicht betreten. Das Strafmaß bei Zuwiderhandlung wurde auf 2 000 DM festgesetzt.
Peter Nowak |