Neues Deutschland vom 30.01.01Nahostkonflikt in Hamburg
· Äußerungen eines Palästinensers führten zu Kontroversen in linken Hamburger Radio
Der Nahostkonflikt hinterläßt auch in Teilen der deutschen Linken beträchtliche Schäden. In Hamburg zumindest tobt sein Wochen ein Streit. Zensur- und Antisemitismusvorwürfe machen wechselseitig die Runde. Grund ist das Sendeverbot, dass die Anbietergemeinschaft des linksalternativen Freien Sender Kombinat (FSK), ein von zahlreichen Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen genutztes Freies Radio am 2. November 2000 gegen Achim Schuster und Wolfgang Lettow ausgesprochen hat. Den beiden Redakteuren der Radiogruppe "Knast und Justiz" wird vorgeworfen, in ihrer Sendung antisemitische und völkische Inhalte unwidersprochen gelassen und damit den politischen Minimalkonsens des FSK verletzt zu haben. Anlass der Auseinandersetzung war ein am 25. Oktober ausgestrahltes Liveinterview mit einem Vertreter der palästinensischen Gemeinde Hamburg. Der als "palästinensischer Genosse Achmed" vorgestellte Mann referierte 2 Stunden seine Lesart des Nahost-Konflikts und verknüpfte ihn mit der deutschen Geschichte: "Wir haben alles erlebt, was die Juden damals erlebt haben: KZ, Vertreibung, Millionen von Flüchtlingen, egal in welchen Masse." Außerdem forderte er indirekt einen Boykott Israels: "Wir fordern nur, dass die Bundesrepublik ihre Unterstützung für Israel einstellt.... Zehntausend Millionen hat Israel pro Kopf von Deutschland alleine als Wiedergutmachung bekommen". "Solche Vergleiche nähern sich tatsächlich der Holocaustleugnung, weil sie die systematische Vernichtung der Juden durch Gas unterschlagen" meinte das am FSK beteiligte 'Radio Loretta'. Die von dem Palästinenser vorgenommenen Verknüpfungen des Nahost-Konflikts mit der deutschen Geschichte werden auch von den beiden ausgeschlossenen Radiomachern ausdrücklich abgelehnt. "Die Kritik ist zum Teil berechtigt" meinte Achim Schuster. Auch Wolfgang Lettow meint gegenüber ND, es sei ein Fehler gewesen, diese inkriminierten Passagen unkommentiert gelassen zu haben. "Wir haben die Sendung nicht ausreichend vorbereitet" so seine Erklärung. Doch in dem Sendeverbot sehen lediglich einen Vorwand um unliebsame antiimperialistische Inhalte aus dem Sender zu kippen. Zensur oder Antisemitismus - waren die Pole der innerlinken Auseinandersetzung in der Hansestadt in den letzten Wochen. Programmatisch sind die Titel von zwei öffentlichen Veranstaltungen zum Thema. Unter dem Motto "Freies Sendekombinat - Senden mit der Schere im Kopf" wurde zu einem öffentlichen Radiotag geladen, wo die Gegner des Sendeverbots weitgehend unter sich waren. Die Befürworter wiederum luden einige Wochen später ebenfalls zu einer öffentlichen Veranstaltung unter dem Titel "Zensur bei FSK? Wieviel Antisemitismus braucht ein freies Radio?". Nachdem die ausgeschlossenen Redakteure im Dezember trotz Verbot sendeten drohten die er Fronten weiter zu verhärten. Doch mittlerweile gibt es vorsichtige Verständigungsbemühungen. "Wir wollen mit unseren Kritikern reden und hoffen, die Differenzen zu klären" meint Wolfgang Lettow. E Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass sich ein 'Freies Radio' am Nahostkonflikt zerstreitet. Während des Golfkrieges im Winter 1991 wurde Radio Dreieckland, ein Freies Radio aus Freiburg, sogar für einige Tage besetzt. Anlass war ein rechtslastiger Interviewpartner, der unter dem Deckmantel 'Kritik an Israel' antisemitische Thesen on Air verbreitete. Peter Nowak |