junge Welt20.03.2001 Hat sich unter Rot-Grün für Flüchtlinge etwas geändert? jW fragte Georg Classen, Pressesprecher des Berliner Flüchtlingsrats _________________________________________________________________
F: Die Asylgesetzgebung ist wieder verstärkt in die Diskussion geraten. Gibt es auf Bundesebene Anzeichen für eine Änderung zugunsten der Flüchtlinge?
Wir sind enttäuscht, daß Rot-Grün in der Koalitionsvereinbarung dazu keine Aussage macht, obwohl die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylBLG) und die Gleichstellung der Flüchtlinge mit deutschen Sozialhilfeberechtigten seit Jahren zu den Hauptforderungen der Flüchtlingsinitiativen gehört. Nicht einmal die Verschärfungen von 1997 und 1998 wurden zurückgenommen. Selbst die im Gesetz vorgesehene jährliche Anpassung an die gestiegenen Lebenshaltungskosten wurde nicht durchgesetzt. Seit 1993 hat keine einzige Erhöhung stattgefunden. Für Deutsche gab es jährliche Anpassungen der Sozialhilfe und anderer Sozialleistungen an die Preissteigerung und unter Rot- Grün auch strukturelle Verbesserungen etwa beim BAföG, Kinder- und Erziehungsgeldleistungen, von denen Asylbewerber auch weiterhin ausgeschlossen sind. Dies kann nur als Ausdruck eines staatlichen Rassismus bezeichnet werden. Auch das Arbeitsverbot wurde entgegen anderslautender Pressemeldungen keineswegs aufgehoben.
F: Was wird in dem Asylbewerberleistungsgesetz geregelt?
Das Gesetz bedeutet eine etwa 25prozentige Kürzung der Sozialhilfe. Diese wird allerdings bis auf einen Betrag von 80 DM im Monat vorrangig in Form von Sachleistungen wie Gutscheinen, Lebensmittel- und Hygienepaketen gewährt. Außerdem soll die Unterbringung statt in Wohnungen vorrangig in Gemeinschaftsunterkünften erfolgen, auch die medizinische Versorgung wird stark eingeschränkt. In der Praxis kann die Kürzung der Sozialhilfe weit mehr betragen, weil die Leute nur in teuren Geschäften einkaufen können, es bei den Gutscheinen keine Restgeldrückgabe gibt, die Lebensmittelpakete regelmäßig nur ca. 60 Prozent des Sollwertes enthalten und zudem nicht bedarfsdeckend zusammengestellt sind.
Zunächst galt das Gesetz nur für Asylbewerber im ersten Jahr. Seit 1997 gilt es für die ersten drei Jahre, zudem auch für geduldete Flüchtlinge, für diese vielfach sogar unbefristet. Die zweite gravierende Verschärfung erfolgte 1998. Danach werden Flüchtlingen, die durch ihr eigenes Verhalten nicht abgeschoben werden können, weil sie z.B. angeblich ihre Dokumente vernichtet haben, oder angeblich nur wegen der Sozialhife nach Deutschland gekommen sind, die Sozialleistungen auf ein absolutes Minimum reduziert. In Berlin haben sie dann nur noch Anspruch auf ein Rückfahrtticket in ihr Herkunftsland. Von den rund 30 000 Leistungsberechtigten in Berlin sind seit September 1998 nach unserer Einschätzung ca. 5 000 Personen, deren Leistungen ganz eingestellt wurden, von dieser Politik des obdachlos Aussetzens und Aushungerns betroffen.
F: Also dienen diese Gesetze vor allem zur Abschreckung.
Es geht den Politikern erklärtermaßen um die »Bekämpfung des Asylmißbrauchs« und des »Schlepperunwesens«. Dabei sind die meisten auf Fluchthelfer angewiesen, weil die Verfolgerstaaten die Leute nicht gehen und die EU-Staaten die Leute nicht einreisen lassen. Und man behandelt die hier lebenden Leute so schäbig wie möglich, um andere Flüchtlinge, die noch kommen könnten, abzuschrecken.
F: Das Gesetz wurde von der SPD/Grünen-Regierung übernommen. Wie war damals die Haltung der heutigen Regierungsparteien?
Das Gesetz ist Bestandteil des »Asylkompromisses« zur Einschränkung des Asylgrundrechts von 1993, der von der SPD mitgetragen wurde. Die Grünen haben damals im Bundestag zwar dagegen gestimmt, aber zur Sozialhilfe gefordert, die Frage von Sach- oder Geldleistungen den Kommunen zu überlassen. Der damalige grüne Bundestagsabgeordnete Konrad Weiß forderte in seiner Parlamentsrede zudem sogar die »konsequente Abschiebung« von Asylbewerbern, die »mißbräuchlich« Leistungen beziehen.
F: Die PDS hat in ihrem Programm noch antirassistische Ansätze. Welche Erfahrungen gibt es mit PDS- Kommunalpolitikern im Zusammenhang mit dem AsylBLG?
Sehr unterschiedliche. Die Berliner PDS- Sozialdezernentinnen aus Lichtenberg und Treptow sind uns in der Vergangenheit durch besonders rigide Praktiken gegenüber Flüchtlingen aufgefallen. Äußerst positiv ist demgegenüber das Engagement von Karin Hopfmann zu bewerten, die für die PDS im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt. Die von der Partei finanzierte Einrichtung einer Flüchtlingsberatungsstelle in Kreuzberg ist ebenfalls ein sehr positiver Schritt.
F: Im Berliner Abgeordnetenhaus gab es im letzten Jahr eine parteiübergreifende Initiative, die die Rechte der Flüchtlinge verbessern sollte. Was ist daraus geworden?
Mit den Stimmen von SPD, Grünen und PDS wurde im Juli 2000 beschlossen, daß in jedem Fall zumindest Unterkunft, Ernährung, medizinische Versorgung sowie notwendige Fahrten mit der BVG zu übernehmen sind. Zudem soll das Sozialamt beweisen, daß ein Flüchtling wegen der Sozialhilfe eingereist sei. Bisher mußte der Flüchtling das Gegenteil beweisen. Erst seit März 2001 existiert eine Verwaltungsvorschrift der verantwortlichen SPD-Senatorin Schöttler zur Umsetzung dieser Initiative. Sie gilt allerdings nur für Flüchtlinge, die vor dem 1. Januar 2001 eingereist sind. Nach unseren ersten Erfahrungen muß allerdings bezweifelt werden, ob sich durch die Neuregelung für die Betroffenen überhaupt etwas ändert. Flüchtlinge, die sich darauf berufen haben, sind aus Berliner Sozialämtern rausgeschmissen worden, ohne daß ihr Antrag auch nur entgegengenommen wurde.
Interview: Peter Nowak |