junge Welt05.03.2001 Was hat sich in Rathenow verändert? junge Welt sprach mit Mohammed Abdel Amine _________________________________________________________________
* Gegen die Einschränkung ihrer politischen Betätigung und gegen die sogenannte Residenzpflicht demonstrierten am Sonnabend 300 Flüchtlinge aus Brandenburg in der brandenburgischen Kleinstadt Rathenow. - Mohammed Abdel Amine ist Mitglied einer dortigen Flüchtlingsinitiative
F: Vor einem Jahr machte ein Brief Rathenower Flüchtlinge gegen den rassistische Übergriffe Schlagzeilen, in dem sie eine Verlegung in andere Bundesländer forderten. Was hat sich ein Jahr nach dieser Aktion verändert?
Für uns hat sich nichts zum Positiven verändert. Die verantwortlichen Politiker haben unseren Brief nur als Provokation aufgefaßt und nicht als Aufforderung zum Handeln. Unsere Hauptforderung, wegen der ständigen rassistischen Angriffe in andere Bundesländer verlegt zu werden, wurde von den verantwortlichen Politikern mit dem Argument abgelehnt, das ließen die Gesetze nicht zu. Auf die angekündigten Alternativ-Lösungen warten wir bis heute. Statt dessen erleben wir weiter überwiegend Ablehnung und Feindseligkeit. So wurde dem Mitbegründer der Rathenower Flüchtlingsinitiative Christopher Nsoh in einem Schreiben der Rathenower Kommunalbehörden Hausverbot erteilt. Grund war eine Medienkampagne gegen den Juristen aus Kamerun. Der bekannte Flüchtlingsaktivist wurde mit Drogengeschäften in Verbindung gebracht. Außerdem läuft gegen Nsoh ein Ermittlungsverfahren wegen Verleumdung von Polizeibeamten, weil er im August letzten Jahres einen rassistischen Übergriff öffentlich machte. Ein CDU- Kommunalpolitiker forderte gar die Ausweisung von Nsoh aus Rathenow. Doch es geht nicht nur um Nsoh, sondern um alle Flüchtlinge. Bei der letzten Kreistagssitzung zum Thema Flüchtlinge in Rathenow wurde zwar der evangelische Pfarrer des Ortes, aber niemand von den Betroffenen eingeladen.
F: Wie reagieren Politiker von Parteien wie SPD und PDS auf die Aktivitäten Ihrer Initiative?
Wir haben den Eindruck, daß sie sich dazu gar nicht äußern wollen.
F: Ein Hauptgrund für Ihren Brief war die ständige Bedrohung der Flüchtlinge durch Neonazis. Wie steht es momentan um die rechte Szene in Rathenow?
Auch hier hat sich nichts Grundsätzliches verändert, wenn auch die rassistischen Angriffe in den letzten Monaten nachgelassen hatten. Allerdings wurde erst am vergangenen Dienstag ein Freund von uns in der Rathenower Innenstadt von Rechten angegriffen.
F: Am Sonnabend haben Sie in Rathenow demonstriert. Sie sind willens, den Druck aufrechtzuerhalten?
Die Demonstration wurde von der Flüchtlingsinitiative Rathenow, der Flüchtlingsinitiative Brandenburg, der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und der Organisation The Voice gemeinsam organisiert. Der Zeitpunkt für die Aktion war in Anbetracht des einjährigen Jubiläums unseres Briefes bewußt gewählt. Ein Schwerpunkt der Demonstration war der Kampf gegen die Residenzpflicht, die Flüchtlingen verbietet, den Landkreis zu verlassen, in dem sich das für sie zuständige Ausländeramt befindet.
F: Plant die Initiative in der nächsten Zeit weitere Aktionen?
Ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit werden die bundesweiten Aktionstage gegen die Residenzpflicht sein, zu denen wir mit vielen anderen Antirassismus- und Flüchtlingsgruppen vom 17. bis 19. Mai nach Berlin mobilisieren.
Interview: Peter Nowak |