junge Welt19.04.2001Für die Ehre eines Altnazis Der Staatsschutz schritt ein, weil ein verurteilter Altnazi und sein Anwalt sich beleidigt fühlten _________________________________________________________________
Die Osterüberraschung kam schon vor den Feiertagen. In der letzten Woche durchsuchte die Polizei drei Privatwohnungen sowie die Räumlichkeiten des Kulturzentrums Alte Pauline in der lippischen Kleinstadt Detmold. Computer, Dateien und mehrere Schriftstücke wurden beschlagnahmt. Detmolder Linke müssen schon weit zurückblicken, um sich an ähnliche Polizeiaktionen in ihrem überschaubaren Städtchen zu erinnern. In den 80er Jahren war die Alte Pauline im Zusammenhang mit der Kriminalisierung von antiimperialistischer Politik und der Autonomenzeitung radikal ins Visier des Staatsschutzes geraten. Die jüngste Aktion aber galt offenbar Unterlagen gegen den Rechtsanwalt Arnd Kuhlmann und dessen Mandanten Carl-Friedrich Titho.
Beide leben in der Nähe von Detmold und fühlen sich verleumdet. Hatte doch eine antifaschistische Gruppe Recherchen zur Vergangenheit des Rentners angestellt und im Internet veröffentlicht. Ergebnis: Titho war nicht nur seit 1932 SS-Mitglied, sondern auch an zahlreichen Verbrechen der Nazis führend beteiligt. So hatte er als Lagerleiter des Konzentrationslagers Fossoli bei Modena in Norditalien die Mitverantwortung für die Deportation Tausender Juden und zahlreicher Antifaschisten in die Vernichtungslager. Als Vergeltung für einen Angriff italienischer Partisanen habe Titho 69 Gefangene erschießen lassen. Sein blutiges Werk hatte Titho zuvor schon in den Niederlanden begonnen. Dort ist er 1951 wegen der Erschießung von 70 sowjetischen Kriegsgefangenen im Konzentrationslager Amersfoort und der Mißhandlung niederländischer Häftlinge zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Wie viele in europäischen Ländern verurteilte Nazitäter lebte auch Titho nach seiner Abschiebung aus den Niederlanden in die BRD seit 1953 von der westdeutschen Justiz unbehelligt auf freiem Fuß. Anstoß hat daran in Tithos Umgebung kaum jemand genommen. Warum auch, schließlich war gerade im Lippischen die Zahl der überzeugten Nazis nach 1945 sehr groß.
Erst durch die Aufklärungsarbeit von antifaschistischen Initiativen in der Region kam Tithos Vergangenheit noch einmal an die Öffentlichkeit. In der Regionalpresse bot der SS-Mann seinen Opfern darauf großzügig Versöhnung an. Auf Worte der Reue oder gar eine Entschuldigung wartet man aber auch im Jahr 2001 bei Titho vergeblich, kritisieren Detmolder Antifaschisten. Für die Deportationen aus dem italienischen Konzentrationslager weist Titho jede individuelle Schuld von sich. Diese Version hält selbst die Dortmunder Zentralstelle des Landes Nordrhein-Westfalen für die Verfolgung faschistischer Massenverbrechen für »in hohem Maße unglaubhaft«.
Auch Tithos Anwalt Arnd Kuhlmann beteilige sich an der Entschuldigungskampagne für seinen Mandanten über den Gerichtssaal hinaus, lautet die Kritik der Antifaschisten. Sie bewerteten die Razzia denn auch als Einschüchterungsmaßnahme und Kriminalisierung ihrer Aufklärungsarbeit. »In Fällen mit vermutetem Tatbestand der Beleidigung oder Verleumdung sind weder Hausdurchsuchungen noch ein Einschreiten des Staatsschutzes üblich», heißt es in einer Presseerklärung verschiedener Detmolder Initiativen.
Peter Nowak |