FR 12.12.01 Ausreiseverbote sollen EU-Gipfel in Brüssel schützen Deutsche Polizei hält mögliche Teilnehmer an Protesten vorbeugend zurück / Widersprüchliche Gerichtsurteile
Von Peter Nowak und Andrea Neitzel
Im Vorfeld der Proteste gegen den EU-Gipfel in Brüssel hat die deutsche Polizei Ausreiseverbote verhängt beziehungsweise Globalisierungskritiker aufgefordert, nicht an den Demonstrationen teilzunehmen. In Göttingen fühlen sich Betroffene in ihren Grundrechten verletzt und wollen gegen das Vorgehen der Polizei klagen. In Berlin gab es am Dienstag widersprüchliche Urteile zu Klagen gegen Ausreiseverbote: In einem Fall hob das Gericht die Verfügung auf, in einem anderen bestätigte es sie.
BERLIN/FRANKFURT A. M., 11. Dezember. Schreiben mit der Verfügung eines Ausreiseverbots haben in den vergangenen Tagen in Berlin 29 Personen erhalten. "Der Geltungsbereich Ihres Reisepasses ... wird dahin gehend beschränkt, dass der Pass nicht für Reisen nach Belgien, Niederlande, Luxemburg und Frankreich gilt. Diese Beschränkung hat zur Folge, dass Ihnen die Ausreise in die genannten Länder ... auch mit dem Personalausweis untersagt wird. Diese Maßnahme ist bis zum 15.12.2001 befristet," heißt es darin. Die Begründung: "Nach Erkenntnissen der Berliner Polizei sind Sie in der Vergangenheit mehrfach durch gewalttätiges Verhalten auffällig geworden und gehören somit zum Kreis der Globalisierungsgegner."
Wie vor den Protesten in Genua wurden auch vor den geplanten Demonstrationen gegen den EU-Gipfel Ausreisebeschränkungen verschickt. "Solche begrenzten Ausreisebeschränkungen lässt das Passgesetz zu und wurden vor Genua von den Gerichten bestätigt. Davon sind Personen betroffen, die in der Vergangenheit schon bei Demonstrationen aufgefallen sind und sich mit größter Wahrscheinlichkeit wieder gesetzwidrig verhalten würden", sagte die Sprecherin des Berliner Innensenats, Svenja Schröder-Lomb, der FR.
Doch wie im Juli sind auch jetzt Personen betroffen, die weder rechtskräftig verurteilt waren noch ein Strafverfahren hatten. Manche können sich nicht erklären, wie sie überhaupt auf die Liste kamen, andere können sich an eine Namensregistrierung während einer Polizeikontrolle erinnern. Anders als im Vorfeld von Genua müssen sich die Betroffenen dieses Mal nicht täglich bei der Polizei in Berlin melden. Außerdem gelten die aktuellen Ausreisebeschränkungen nur für Belgien, Frankreich, Luxemburg und die Niederlande. Im Sommer wurde noch die Einreise in neun Länder für mehrere Tage untersagt. Einige Betroffene wollen das Berliner Landesverfassungsgericht anrufen und werden darin von Juristen unterstützt. Schließlich seien die Begründungen für die freiheitseinschränkenden Maßnahmen extrem allgemein gehalten, so Rechtsanwalt Benjamin Raabe. Nach den unterschiedlichen Entscheidungen des Berliner Verwaltungsgerichts am Dienstag geht die Auseinandersetzung nun in die zweite Instanz.
Auch in Göttingen wollen Globalisierungskritiker vor Gericht ziehen. Dort hat die Polizei 13 so genannte Gefährderanschreiben verschickt, in denen die Adressaten eindringlich gewarnt werden, an den Demonstrationen in Brüssel teilzunehmen. Wörtlich heißt es: "Um zu vermeiden, dass Sie sich der Gefahr präventiver polizeilicher Maßnahmen im Rahmen der Gefahrenabwehr (bis hin zur Zurückweisung an der deutsch-belgischen Grenze) oder strafprozessualer Maßnahmen aus Anlass der Begehung von Straftaten im Rahmen der demonstrativen Aktionen aussetzen, legen wir Ihnen hiermit nahe, sich nicht an den o. g. Aktionen zu beteiligen."
Der Student Jan Steyer hält dieses "Gefährderschreiben" für unrechtmäßig und hat einen Anwalt eingeschaltet. Er will außerdem klären lassen, auf welcher Grundlage seine Daten in der "Gewalttäterdatei links" gespeichert wurden, die die Basis für die Polizeischreiben bildete. Er sei zwar bei den Protesten in Genua gewesen, sagte Steyer der FR, dort aber nicht polizeilich in Erscheinung getreten oder gar erkennungsdienstlich behandelt worden. Nur bei der Ein- und Ausreise habe es Kontrollen gegeben.
Tatsächlich reicht ein Platzverweis aus, um in der "Gewalttäterdatei links" zu landen. Laut Verordnung können dort Personen erfasst werden, "gegen die Personalienfeststellungen, Platzverweise und Ingewahrsammaßnahmen" angeordnet wurden, wenn der Verdacht besteht, dass die "Personen zukünftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden".
Für Heidi Lippmann, Bundestagsabgeordnete der PDS, ist es ein "unglaublicher Vorgang", dass die Göttinger Polizei auf "zweifelhafte Weise" versucht, Menschen von der Wahrnehmung ihres Demonstrationsrechts abzubringen. "Das stellt einen massiven Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung dar", so Lippmann. Sie kündigte eine Landtags-Anfrage der PDS zu den Vorgängen an. |