jW07.04.2001Wird es im Osten Proteste gegen Castor-Transporte geben? junge Welt sprach mit Anke Wagner _________________________________________________________________
* Ende März rollten Castoren von großen Protesten begleitet durchs Wendland. Im Mai sollen Transporte mit abgebrannten Brennstäben vom stillgelegten AKW Rheinsberg ins atomare Zwischenlager Lubmin rollen. Anke Wagner ist Präsidentin der Bürgerinitiative Kernenergie e.V. in Greifswald
F: Anfang Mai wird mit dem Transport von vier Castoren mit radioaktiven Brennstäben von Rheinsberg ins Zwischenlager Nord (ZLN) nach Lubmin gerechnet. Wie bereitet sich die regionale Anti-AKW-Bewegung darauf vor?
Wir bereiten uns schon lange auf den Transport vor, einfach deshalb, weil er schon vor drei Jahren laufen sollte. Vor zwei Jahren brodelte heftig die Gerüchteküche. Da haben wir kurz hintereinander zwei Anti-Atom-Camps in Greifswald veranstaltet. Zum ersten kamen etwa 50, zum zweiten dann schon 100 Leute aus dem gesamten Bundesgebiet. Das ist viel für ein Camp »ohne Anlaß«. Man kann also davon ausgehen, daß Lubmin in der bundesweiten Anti-Atom-Szene durchaus ein Begriff ist. Seit Bekanntwerden der Transportgenehmigung verbreiten wir den vermutlichen Termin und bereiten Aktionen vor Ort vor. Wir laden alle ein, an der gesamten Transportstrecke zu protestieren.
F: Die PDS Brandenburg rechtfertigt diesen Castor-Transport als Ausnahme, weil damit ein AKW endgültig zurückgebaut würde. Wie ist die Position der Anti-AKW-Initiativen vor Ort?
Es ist problematisch, an irgendeiner Stelle anzufangen, »gute« von »schlechten« Transporten zu unterscheiden. Beim Gorleben-Castor hat die Bundesregierung das verzweifelt versucht, stößt aber damit bei der Anti-Atom-Bewegung auf taube Ohren. Jeder Transport verdeutlicht, daß es eigentlich keine Lösung für den Atommüll gibt. Es wird geordnete Aktivität vorgetäuscht, nach dem Motto: Im Zwischenlager steht der Müll erst mal sicher, es wird großer technischer Aufwand dafür betrieben. Dabei sind das alles hilflose Versuche, das Problem aus dem Gesichtsfeld zu schaffen. Steht der Müll in einer Halle mit Zaun drum, denkt keiner mehr dran. Das betrifft genauso den Müll aus Rheinsberg wie den aus La Hague oder Neckarwestheim. Die Rheinsberg- Castoren können ruhig dort stehen bleiben. Sie sind in Lubmin nicht »sicherer«. Überflüssige Transporte vermeiden, so etwas stand auch mal im Koalitionsvertrag.
F: Gibt es Anhaltspunkte, daß das ZLN neben Gorleben zu einer weiteren bundesweiten Atommülldeponie werden könnte?
Sicher. Aus diesem Grund ist Protest angesagt. In gewisser Weise ist dieser Castor auch ein Test für den Widerstand vor Ort. Wenn hier nichts passiert, könnte man doch leicht auf die Idee kommen, das ZLN mit Atommüll zu beliefern, den man woanders nicht reingeprügelt kriegt. Besonders pikant ist, daß derzeit am ehemaligen Auslaufkanal des AKW ein Hafen gebaut wird. Und im ZLN ist noch genug Platz, auch wenn die Behälter aus Rheinsberg und sämtliche aus Lubmin dort stehen. In Lubmin steht also Deutschlands einziges Zwischenlager, das bald über See zu erreichen ist. Da kann man sich dann nur noch schwer querstellen, höchstens »quersegeln«.
F: In der Rheinsberger Bevölkerung gibt es wenig Verständnis für Kritik an den Castor-Transporten. Man will die atomaren Altlasten schnell los sein.
Das ist verständlich: Wer will schon Atommüll in seiner Gegend herumstehen haben? Mit Aktionen gegen den Transport wollen wir nicht gegen diese Haltung protestieren, sondern zeigen, daß das Problem tiefer geht. Solange AKWs irgendwo laufen, sind sie eine Gefahr - auch für die, die nicht direkt nebenan leben - und produzieren Müll, der noch nach Jahrhunderten gefährlich ist. Wir streiten uns also nicht mit den Rheinsbergern, wer den Müll vor seiner Haustür hat. Außerdem gibt es auch von dort kritische Stimmen, z. B. vom kirchlichen Umweltkreis.
F: Brandenburgs Innenminister, Jörg Schönbohm, hat im Vorfeld hartes Durchgreifen gegen mögliche Anti-Castor- Proteste in Brandenburg angekündigt. Fühlt sich die regionale Bewegung eingeschüchtert?
Herr Schönbohm ist bekannt für harte Worte und militärisches Gehabe. Er möchte Stimmung schüren in einer Region, die nicht wie das Wendland den Widerstand lebt. Deshalb spricht er auch nicht vom Anliegen der Protestierenden, sondern von Chaoten und ähnlichem. Es ist bekannt, daß man inhaltlicher Auseinandersetzung am leichtesten aus dem Wege geht, indem man kriminalisiert und die Diskussion damit auf Aktionsformen, die berühmte Gewaltdebatte und dergleichen lenkt. Vielleicht möchte Herr Schönbohm nicht, daß sich die Brandenburger Gedanken machen, warum Menschen gegen Castor-Transporte sind. Weil aber Nachdenken der Demokratie noch nie geschadet hat, lassen wir uns von ihm nicht beeindrucken und werden Aktionen machen, die zum Nachdenken anregen.
Interview: Peter Nowak |