junge Welt07.09.2001Bundesweite Wagenburg Bis Sonntag beraten Burgbewohner über die Verteidigung ihrer alternativen Lebensform _________________________________________________________________
Die CDU witterte schon ein Thema für den bisher eher müden Berliner Wahlkampf. »Die Wagenburgen werden unter Rot-Rot-Grün in Berlin wieder heimisch«, hieß es kürzlich in einer CDU-Presseerklärung. Der innenpolitische Sprecher der Berliner CDU-Fraktion, Roland Gewalt, forderte Innensenator Ehrhart Körting zur Räumung einer Wagenburg auf, die sich nach einer monatelangen Odyssee durch verschiedene Stadtteile seit einigen Wochen am Alfred-Döblin-Platz zwischen Kreuzberg und Mitte niedergelassen hat.
Dabei hätte Gewalt erst einmal seine Parteifreunde im Großbezirk Friedrichshain-Kreuzberg fragen sollen. Auch mehrere CDU-Vertreter setzten sich wie Politiker von SPD, PDS und Grünen für eine Duldung der Wagenburg ein. Von einer etwas entspannteren Situation für die Wagenburg durch den neuen Senat spricht auch Dietmar Peters. Doch statt auf Parteien vertraut man lieber auf die eigene Kraft. Deshalb wurde das »Komitee zur grundrechtlichen Verteidigung alternativer Lebensformen« gegründet, dessen Sprecher Peters ist.
Der Kampf um den besten Weg zur Durchsetzung der Wagenburgen ist auch das Thema der bundesweiten Wagentage, die vom 6. bis 9. September in Berlin stattfinden. Mit öffentlichen Aktionen soll die Akzeptanz für das Leben in den Wagen erhöht und eine rechtliche Absicherung erreicht werden. Während man in der letzten Zeit in verschiedenen Städten eine tolerantere Strategie gegenüber Wagenbewohnern eingeschlagen hat, sah man in Berlin in Wagenbewohnern bisher vor allem einen Fall für Polizei und Justiz. Hintergrund ist eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts von 1996, in der die Existenz von Wagenburgen als mit dem Baurecht unvereinbar bezeichnet wurde. Mit diesem Urteil in der Hand machten verschiedene Berliner CDU-Senatoren Jagd auf jede sich neu gründende Wagenburg. Mit populistischen Parolen wurden Wagenbewohner in die Nähe von Drogenhandel und Kriminalität gerückt. »Wir wollen über den Umgang mit Wagenburgen in den verschiedenen Städten reden«, meinte Peters zum Programm der Wagentage. Als positives Beispiel nennt er die Stadt Tübingen, die sogar einen Bildband mit der örtlichen Wagenburg finanzierte. »In Berlin hingegen wurde vor allem viel Geld für die polizeiliche Rund-um-die- Uhr-Überwachung der Wagenburgenbewohner ausgegeben«, meinte Peters sarkastisch.
»Dieses unterschiedliche Verhalten der Verantwortlichen beweist, daß repressives Vorgehen keinesfalls rechtlich zwingend, sondern politisch gewollt ist, um Andersartige zu bekämpfen«, so Peters. Durch eine größere Unterstützung in der Bevölkerung will man dem entgegentreten. Dazu dienen auch Innenstadtaktionen, wie ein Happening am Freitag ab 11 Uhr auf dem Berliner Alexanderplatz. Diese Akzeptanzwerbung bei der Bevölkerung ist auch nach Meinung der Wagenburgenbewohner deshalb nötig, weil es Gegner dieser Lebensform nicht nur im rechten Lager gibt. Auch Mitglieder der Friedrichshainer PDS hatten lange gebraucht, um eine Wagenburg im Großbezirk zu akzeptieren.
Peter Nowak |