junge Welt20.01.2001 Krieg nach Hause gebracht Zwei Bücher über Aktivisten von US-Widerstandsbewegungen _________________________________________________________________
*** Martin Ludwig Hofmann: Indian War. Der Fall des Bürgerrechtlers Leonard Peltier. Bremen 2000, Atlantis- Verlag, 181 Seiten, DM 19,80
*** Ron Jacobs: Woher der Wind weht - Eine Geschichte des Weather Underground. Berlin 1999, ID-Verlag, 190 Seiten, DM 28
Zumindest in der Linken ist der afroamerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal, der seit fast 20 Jahren in der Todeszelle sitzt, ein Begriff. Viel weniger bekannt ist, wenigstens hierzulande, Leonard Peltier. In den USA hingegen gehört er zu den prominentesten Gefangenen. Mehrere Filme wurden über sein Leben gedreht, es gibt eine Ballade über ihn mit Originalstatements, die bei einem Telefonat aus dem Gefängnis aufgenommen wurden.
Jetzt hat der Bremer Atlantis-Verlag in seiner Reihe »Bücher gegen die Todesstrafe« ein Buch herausgebracht, das die Wissenslücken über Peltier auch hierzulande schließen könnte. Der Soziologe und Politikwissenschaftler Martin Ludwig Hofmann gibt zunächst eine Einführung in die Geschichte der indianischen Bürgerrechtsbewegung AIM, die parallel zu der Black-Panther-Bewegung die Rechte der indigenen Bevölkerung des amerikanischen Kontinents einforderte. Höhepunkt ihrer Aktionen war die Besetzung von Wounded Knee 1973, einem verlassenen Landstrich in Süd- Dakota, der in der Geschichte der indigenen Bewegung eine fast mythische Bedeutung hat. Dort wurden am 29. Dezember 1890 mehr als 300 unbewaffnete Indianer von der 7. US- Kavallerie niedergemacht.
Die Besetzung von Wounded Knee wurde zu einem Medienereignis und führte zunächst zu einer moralischen Niederlage der US-Regierung. »Für die Dauer von 72 Tagen waren wir frei. Frei aus eigener Kraft, umringt von Panzern und Soldaten der Vereinigten Staaten von Amerika, der mächtigsten Nation der Welt. Die mächtigste Nation der Welt mußte uns 72 Tage lang zuhören. 72 Tage lang trafen wir die Entscheidungen«, brachte ein Aktivist später die Stimmung der Besetzer zum Ausdruck.
Doch der Staat sann auf Rache. Zunächst wurde die Privatarmee eines korrupten Stammesführers mit Hilfe der Regierung zu einer Truppe ausgebaut, die ein regelrechtes Schreckensregime in den Reservaten errichtete. Dutzende Morde gingen auf ihr Konto. Doch AIM-Aktivisten wehrten sich mit zahlreichen Aktionen dagegen. Einer der jungen Mitstreiter war Leonard Peltier. 1975 wurde er wegen Mordes an zwei FBI-Beamten angeklagt und zu einer lebenslänglichen Haft verurteilt. Hofmann geht akribisch auf die Umstände der Peltier zur Last gelegten Tat ein und weist nach, daß ein Freispruch aus Mangel an Beweisen das einzige rechtsstaatliche Urteil gewesen wäre. Der Autor warnt vor Verschwörungstheorien, führt allerdings genügend Beweise an, die es zumindest wahrscheinlich machen, daß ähnlich wie gegen die Black-Panther-Bewegung auch gegen die AIM das Counter-Intelligence-Programm (COINTELPRO) angewandt wurde, dessen Ziel ein hoher FBI-Beamter vor dem Untersuchungsausschuß des US-Senats so beschrieb: »Wir waren in COINTELPRO-Taktiken engagiert, um eine Organisation auf verschiedene Arten zu entzweien, zu überwältigen, zu schwächen«.
Peltier sitzt - früh gealtert und schwerkrank - noch immer im US-amerikanischen Hochsicherheitsknast. Einzige Hoffnung ist jetzt eine Amnestie des Präsidenten. Nach Zeitungsberichten steht Peltier auf einer Begnadigungsliste, die Präsident William Clinton zum Ende seiner Amtszeit noch abarbeiten wollte. Doch zu oft haben sich Peltiers Hoffnungen auf Freiheit schon zerschlagen. Sehr wahrscheinlich zeigt sich auch hier der rassistische Charakter des US-Systems, das politischen Gegnern, wenn sie keine weiße Hautfarbe haben, kaum die Chance auf ein Leben in Freiheit gibt.
Im Gegensatz zu farbigen US-Bürgern gelang den Aktivistinnen und Aktivisten des Weathermen meist nach geringen Freiheitsstrafen die Rückkehr in ein bürgerliches Leben. Die Weathermen hatten ihren Namen einem Lied von Bob Dylan entliehen: »Du brauchst keinen Wettermann, wenn du wissen willst, woher der Wind weht«. Diese fast vergessene Organisation der weißen radikalen Linken wurde durch ein im ID-Archiv erschienenen Buch wiederentdeckt. Autor Ron Jacobs zeigt auf, woher die Gewalt kam, nennt den Vietnamkrieg, die Ermordung Martin Luther Kings 1968 und die ständigen Morde an der schwarzen Bevölkerung der USA. In diesem Kontext wandelten die Weathermen die alte pazifistische Parole »Bringt unsere Boys heim« zu »Bring the War home« um. Im Gegensatz zu anderen linken Organisationen haben die Weathermen schon Ende der 60er Jahre dem Kampf gegen das Patriarchat und den Rassismus einen hohen Stellenwert eingeräumt und sich positiv auf Gegner der herrschenden Kultur bezogen. Eine ihrer spektakulären Aktionen war die Befreiung des Drogengurus Timothy Leary 1970 aus dem Gefängnis. Der machte allerdings später vor dem FBI detaillierte Angaben über seine Befreier.
Jacobs beschreibt den moralischen Rigorismus der Organisation, der zu einem extremen Sektierertum führte. Besonders bei den lange vorbereiteten »Tagen des Zorns« im Oktober 1969 in Chicago wurde das sichtbar. Der Autor schildert die Szenerie so: »Die Menge setzte sich zusammen aus AktivistInnen mit jahrelangen Erfahrungen in der Bewegung, proletarischen Jugendlichen aus dem Umland von Chicago, milchgesichtigen High-School-Kids aus den unterschiedlichen Teilen des Landes, ein paar Anhängern der Gegenkultur und verdeckten Ermittlern aus allen möglichen Abteilungen des Staatsschutzes.«
Nach mehreren Kursänderungen gaben die Weathermen 1977 ihre alte Politik endgültig auf und versuchten auf der legendären »Hard-Time-Konferenz«, ein linkes Regenbogenbündnis mit radikalen Gewerkschafts-, Frauen- und Migrantengruppen zu schmieden. Der Versuch scheiterte. Nach dem Ende des Vietnamkrieges fehlte der Linken ein verbindendes Motiv, so Jacobs' Erklärung. Viele Ex-Militante waren damals auch in den USA auf dem Weg durch die Institutionen. Nach der Revolution in Nikaragua und der folgenden US-Intervention in El Salvador in den 80er Jahren engagierten sich einige Ex-Weather-Aktivistinnen und -Aktivisten unter anderem Namen erneut gegen die Konterrevolution aus Washington. Am Spektakulärsten war die Bombardierung des Kapitols in Washington nach der Grenada-Intervention 1983.
Jacobs und Hofmann vermitteln mit ihren Büchern eine Ahnung, wie facettenreich der Widerstand im Herzen der Bestie Ende der 60er Jahre war. Nur schade, daß man darüber nur noch in Büchern lesen kann.
Peter Nowak |