Neues Deutschland 10.2.01 Der falsche Landeskonservator · Unter dem Decknamen Camus infiltrierte der BND-Agent Manfred Schlickenrieder linke Gruppen in ganz Westeuropa. Jetzt drohen politische Verwicklungen mit der Schweiz
Viele hielten ihn für einen schrulligen Einzelgänger mit intellektuellen Background. Jahrelang hatte der Münchner Filmemacher Manfred Schlickenrieder fast uneingeschränkt Zugang zu linken Gruppen und Zusammenhängen in ganz Westeuropa. Meistens hatte er eine Kamera dabei. Denn schließlich gehörte Schlickenrieder zu den erlesenen Kreis, denen es erlaubt war, in der mißtrauischen linken Szene zu filmen und zu fotografieren. Die angekündigten Projekte kamen meist nie zu Stande. Lediglich "Was aber wären wir für Menschen", ein Film über die Geschichte der Rote Armee Fraktion (RAF) mit zahlreichen Interviews von ehemaligen Gefangenen wurde seit Mitte der Jahre häufig gezeigt. Doch für Fotos und Filmmaterial gab es trotzdem Verwendung. Denn der umtriebige Manfred Schlickenrieder spionierte für verschiedene Geheimdienste jahrelang die linke Szene aus. Unter dem Decknamen Camus infiltrierte der Mittfünfziger zahlreiche linke Gruppen im In- und Ausland. Betroffen von diesen Geheimdienstaktivitäten war u.a. die Gefangenenhilfsorganisation Libertad, der linke GNN-Verlag, Initiativen für die Freilassung der politischen Gefangenen, aber auch der kommunistisch orientierte 'Revolutionäre Aufbau' aus der Schweiz. Sogar eine Verschmelzung zwischen dieser Organisation und der von Schlickenrieder als Tarnung konstruierten "gruppe 2" wurde erwogen. Doch mit der Zeit wurden die Schweizer Linken mißtrauisch und stellte Nachforschungen an. Dabei fielen ihnen kistenweise Materialien in die Hände, die das Doppelleben des engagierten Dokumentarfilmers nachweisen. Mittlerweile sind diese Materialien auch im Internet abzurufen. Unter den Dokumenten befindet sich auch ein im Februar 1976 ausgestellter Dienstausweis für "Dr. Schlickenrieder, den Landeskonservator des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege", eine vom Verfassungsschutz geschaffene Tarnidentiät. Wie aus den gefundenen Unterlagen weiterhin hervorgeht, arbeitete Schlickenrieder auch für private Auftraggeber, wie für die von Ex-Geheimdienstlern gegründete Londoner Wirtschaftdetektei "Hakluyt", die sich besonders dem Kampf gegen die Umweltorganisation Greenpeace verschrieben hatte. Schlickenrieder wurde nun mit der Bespitzelung der Umweltorganisation beauftragt Unter dem Vorwand, einen Film über den Widerstand gegen einen Ölkonzern drehen zu wollen, erfuhr er zahlreiche Internas, die sofort nach London weitergeleitet wurde. Für seine Arbeit stellte Schlickenrieder den Londoner Auftraggebern mehr als 20000 DM in Rechnung. Wie aus den bei Schlickenrieder gefundenen Dokumenten hervorgeht, beliess es der Münchner nicht nur beim Ausforschen und Dokumentieren. Im Jahre 1994 hat er einen Berliner Linken auch mehrere Pistolen angeboten haben, die angeblich für die linke türkische Dev Sol bestimmt gewesen sein sollten. Der Waffendeal kam letztlich nicht zustande. Seltsam nur, dass gerade zu dieser Zeit bei Dev Sol eine heftige interne Auseinandersetzung auch mit Waffen ausgetragen wurde. "Uns interessiert nach diesen Enthüllungen, wieweit die Auseinandersetzungen, die wesentlich mit zum Verbot der Organisation in Deutschland beigetragen haben, von Geheimdiensten geschürt wurden" meint ein türkischer Linker gegenüber ND. Das sind nicht die einzigen Fragen, die sich nach Schlickenrieders Enttarnung stellen. Auch auf politischer Ebene könnte der Fall ein Nachspiel haben. Das für die Kontrolle der Geheimdienste zuständige Bundestagsgremium will prüfen, auf welcher Grundlage ein Nachrichtenhändler gleichzeitig für den Inlands- den Auslandsgeheimdienst und die Industrie arbeiten kann. In der Schweiz soll hingegen sieht man in Schlickenrieders Agieren einen klaren Gesetzesverstoss. Dort sieht man in ihm schlicht den Agenten einer fremden Nation.
Peter Nowak |