junge Welt 17.04.2001 Warum unter Schröder kaum Arbeitslosenproteste? jW sprach mit Michael Bättig, Aktivist der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) _________________________________________________________________
F: Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte, daß Arbeitslose in Zukunft mit Kürzungen ihrer Bezüge rechnen müssen, wenn sie nicht jede Arbeit annehmen. CDU- und FDP-Politiker gaben ihm ausdrücklich Recht. Überrascht Sie dieser überparteiliche Vorstoß gegen die Arbeitslosen?
Ja, sehr. Mit den bundesweiten Protesttagen gegen Arbeitslosigkeit und Armut im Jahr 1998 haben wir der rot- grünen Regierung zum Durchbruch verholfen. Seitdem protestieren wir kaum noch. Wir bemühen uns, den Aufschwung durch unsere Existenz so wenig wie möglich zu stören. Ein wenig mehr Dankbarkeit hätten wir schon erwartet.
F: Was hat sich unter Rot-Grün für die Arbeitslosen verändert?
Eine Menge. Im Positiven, daß wir uns nach den Wahlen auch auf die neue Regierung verlassen können: Pünktlich nach Ablauf jeden Jahres wird uns weiterhin die Arbeitslosenhilfe um drei Prozent gekürzt - eines der wenigen Ergebnisse übrigens noch aus dem »Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit«. Negativ verändert hat sich, daß es seit der Einführung des SGB III (das Sozialgesetzbuch III ersetzte im Jahre 1998 das alte AFG - Arbeitsförderungsgesetz) immer noch sechs Monate dauert, bis wir endlich jede Arbeit annehmen müssen, bei der wir nicht weniger verdienen, als wir Leistungen bekommen - egal welche Qualifikation wir haben und wieviel wir vorher verdient haben. Versetzen Sie sich in unsere Lage: Ein halbes Jahr mit schlechtem Gewissen überstehen, weil man sich vor dem Streit mit schlechter Qualifizierten um schlecht bezahlte Arbeitsplätze drückt, ohne daß einem die Stütze gestrichen wird.
F: Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat sich verhalten zustimmend zu Schröders Vorstoß geäußert. Ist der DGB noch Bündnispartner für Arbeitslose?
Solange weiterhin so einschneidende Ergebnisse für uns aus seiner Teilnahme am »Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit« herauskommen wie Leistungskürzungen oder jetzt aktuell die geplante SGB-III- Reform zum Sommer, mit der mehr Druck auf Langzeitarbeitslose ausgeübt werden soll ... Wir wollen aber nicht zuviel verlangen. Auf die Gewerkschaften warten bedeutsamere Aufgaben, als sich um Nicht-Arbeit zu kümmern: So gibt es z. B. immer noch jede Menge Leiharbeitsfirmen, deren Löhne um 30 Prozent unter denen für vergleichbare Arbeiten liegen - die müssen schließlich noch tarifvertraglich festgeklopft werden.
F: Wieso werden von den Politikern trotz unverändert hoher Massenarbeitslosigkeit und sich abschwächender Konjunktur die Arbeitslosen ins Visier genommen?
Schröder hat das Ziel, die Arbeitslosigkeit zu halbieren, aufgegeben. Für das korrigierte Ziel 3,5 Millionen Erwerbslose im Jahr 2002 müßte z. B. mit gesetzlicher Hilfe die wachsende Überstundenzahl abgebaut werden. Schon dieser Schritt riefe den Widerstand der Wirtschaft, der Opposition und des überwiegenden Teils der Medien auf den Plan. Daß wir selbst Schuld an unserer Arbeitslosigkeit sind, verspricht dagegen breite Zustimmung. So regierte Kohl sechzehn Jahre. Der Unterschied zu Schröder: Kohl hatte eine Opposition. Deren Funktion übernehmen wir mit: Als Sündenbock der Nation. Mit den Ausländern funktioniert das nicht mehr, seit selbst die CDU Deutschland zum Einwanderungsland erklärt hat. Mit der Arbeit hat das in Deutschland schon immer funktioniert. Ein geschlossene Volksgemeinschaft läßt sich nicht von Drückebergern den Aufschwung vermasseln.
Andersherum betrachtet: So weit hat es der Kapitalismus mit seiner Produktivität getrieben, daß ausgerechnet die Faulenzer den Fortschritt der Nation retten. Wir Arbeitslose können stolz auf Deutschland sein.
F: In der Endphase der Regierung Kohl begannen Arbeitslosenproteste. Warum ist heute so wenig Widerstand von den Arbeitslosen zu hören?
Nicht, daß wir zu faul sind oder uns vorm Widerstand drücken wollten, aber wir haben einigermaßen gebannt auf den Aufschwung gestarrt - wie das Kaninchen auf die Schlange. Wir wollten nicht stören.
Interview: Peter Nowak |