ND vom 1.11.01Der Arbeitslose als Patient Eine Diskussionsrunde in Berlin widmete sich den Auswirkungen der Faulenzerdebatte bei Arbeitslosen
Von Peter Nowak
»Kein Recht auf Faulheit«; »Wer Arbeit will, findet auch welche« – so oder ähnlich tönt es immer häufiger aus Politikermündern. Aber welche Funktion haben derlei diffamierende Vorwürfe in Richtung Arbeitslose? Eine Diskussion in Berlin mühte sich um Aufklärung. Im Jahr 1981 stieg die Arbeitslosigkeit erstmals über zwei Millionen und die Medien warnten vor einer Gefahr für das System. 10 Jahre später waren noch mehr Menschen erwerbslos. Doch statt vom System wurde jetzt nur noch vom unflexiblen, faulen Arbeitslosen gesprochen.« Auf diese Diskursverschiebung machte Horst Kahrs aufmerksam. Der ehemalige Aktivist der Arbeitsloseninitiative ALSO aus Oldenburg ist mittlerweile Mitarbeiter der PDS-Bundestagsfraktion. Gemeinsam mit dem VW-Betriebsrat Manfred Stöter und dem Arbeitsmarktexperten der Hamburger Regenbogenfraktion Dirk Hauer diskutierte Kahrs am Montagabend auf Einladung der »Initiative Anders Arbeiten« in Berlin über die Funktion des Faulheitsvorwurfs gegenüber den Arbeitslosen. Das Podium war sich weitgehend darüber einig, dass diese Diskurse vor allem der Disziplinierung dienen – neben der von Arbeitslosen auch von Jugendlichen. »Das Beharren auf einen Traumjob sollen sich schon Schüler abschminken«, so Dirk Hauer. Der Mitbegründer der Hamburger Arbeitsloseninitiative »Blauer Montag« legte den Schwerpunkt auf die Unterschiede in den periodisch wiederkehrenden Faulenzerdebatten. Die werden immer dann angezettelt, wenn offensichtlich wird, dass allen Politikerversprechungen zum Trotz die Arbeitslosenzahlen weiter steigen. Doch das politische Umfeld ist entscheidend. Als Schröder-Vorgänger Helmut Kohl Mitte der 90er Jahre in denunziatorischer Absicht vom kollektiven Freizeitpark BRD sprach, diente das der Durchsetzung einer neoliberalen Politik. Die sozialdemokratische Antwort darauf sei der autoritär-fürsorgliche Law-and Order-Staat. Hauer zeigt dessen Funktionsweisen am derzeit im Bundestag beratenen Job-Aqtiv-Gesetz auf. Für jeden einzelnen Arbeitslosen sieht es einen passgenauen Eingliederungsplan vor, inklusive der Pflicht, sich aktiv um einen Job zu bemühen. Wer sich widersetzt, hat mit Leistungseinschränkungen zu rechnen. Langzeitarbeitslose werden in spezielle Programme eingebunden, in denen sie als medizinische Problemfälle behandelt werden. Begriffe wie Anamnese und Diagnose tauchen in diesen Programmen auf. Hauer spricht von der »Psychiatrisierung der Erwerbslosen«. Auch für Kahrs ist der Hauptzweck der Faulheits-Diskurse, die Arbeitslosigkeit als gesellschaftliches Problem zu negieren. Das hat Auswirkungen auf das Bewusstsein der Betroffenen. »Wenn Arbeitslosigkeit nicht als gesellschaftlicher Skandal, sondern als persönliches Defizit betrachtet wird, kämpft man nicht mehr gegen den Kapitalismus, sondern sucht die Schuld bei sich selber.« Ein Phänomen, das unter Arbeitslosen sehr häufig anzutreffen ist und sogar zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann. |