ND 21.07.01Fit für den Standort Deutschland Im Kampf um begehrte Arbeitskräfte werden im IT-Bereich ausländische Experten angeworben Von Peter Nowak Foto: Reuters/Wolfgang Rattay In den letzten Monaten ist ein neues T-Shirt-Motiv in der Öffentlichkeit aufgetaucht. »Sind Sie Inder« prangt groß auf dem Rücken, während etwas kleiner eine Internetadresse angegeben ist. Ein Beispiel, dass die aktuelle Debatte um den Arbeitskräftemangel im Bereich der Informationstechnologien (IT-Branche) mittlerweile selbst im Alltagsleben Spuren hinterlassen hat. Doch nicht nur dort: Die Diskussion um die Süssmuth-Kommission scheint es zu dokumentieren. War vor wenigen Monaten noch quer durch alle großen Parteien von deutscher Leitkultur und Abschottung gegenüber Fremden die Rede, so reden heute Gewerkschaften, Kirchen, Unternehmerverbände, ja selbst der modernistische Flügel der CDU um Rita Süssmuth und Peter Müller von der Integration ausländischer Arbeitskräfte. Selbst der Satz »Deutschland ist ein Einwanderungsland« ist in diesen Kreisen kein Tabu mehr. Gerade die Wirtschaft macht in dieser Debatte den Vorreiter. So sprach BDI-Chef Michael Rogowski kürzlich »von 300000 bis 400000 Arbeitskräften aus dem Ausland, die die Wirtschaft benötigt. Manche Optimisten wollen in dieser Debatte sogar antirassistische Spurenelemente erkennen. So schrieb der Kulturlinke Mark Terkessidis in der Wochenzeitung »Jungle World«: »Nun hat auch eine langsame Zersetzung des berüchtigten nationalen Interesses begonnen«. Da scheint eine Karikatur schon wirklichkeitsnäher, die die »Frankfurter Rundschau« unter einen Artikel über die Süssmuth-Kommission plazierte. Ein Deutscher schreit einen Türken an: »Aber dass das klar ist! Ihr seid hier nicht, weil wir Euch mögen, sondern weil wir Euch brauchen!« Die »Gleichzeitigkeit von Integration und Ressentiment« beim Thema Ausländerzuwanderung hat in Deutschland Tradition, wie der Historiker Ulrich Herbert in seinem kürzlich im Beck-Verlag erschienenen Buch «Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter« beschreibt. So entwickelte sich das Ruhrgebiet Ende des 19.Jahrhunderts zu einem vor allem osteuropäischen Einwanderungszentrum. Doch antipolnische Einstellungen haben sich trotzdem zählebig gehalten. Es sind meistens Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur, die mit Arbeitskräftemangel und Arbeitsmigration verbunden sind. Was im Ruhrgebiet des ausgehenden 18.Jahrhunderts der Bergbau war, ist im beginnenden 21.Jahrhundert die mit vielen Mythen umwobene IT-Branche. Selbst die exakte Berufsbeschreibung fehlt noch. »IT« – das ist alles, was nur irgendwie mit Informationstechnologie zu tun hat. So kommt es, dass die Zahl der gegenwärtig vorhandenen IT-Stellen zwischen ein und zwei Millionen schwankt und sich auch die Zahl der aktuell fehlenden Stellen im IT-Bereich in einer Spannbreite von 75000 bis 350000 bewegt, wie das Autorenduo Angela Mayer und Frank Möcke in einem ausführlichen Hintergrundbericht in der Fachzeitschrift »c’t« schreibt. Mit dem unscharfen Berufsfeld korrespondieren unterschiedliche Berufsbezeichnungen, wie die einschlägigen Stellenausschreibungen zeigen. Da ist von Junior Database Developern, System Operatoren die Rede, aber auch IT-Spezialisten und Entwickler werden gesucht. Trotz der überall kolportierten Krise der New-Economy könne von einem Ende des Booms auf dem IT-Arbeitsmarkt keine Rede sein, behauptet zumindest Werner Dostal, der Internetexperte des Instituts für Markt- und Berufsforschung. »Auch Leute, die mit einem Start-Up-Unternehmen in die Pleite geschlittert sind, finden sofort eine andere Stelle«, wird Dostal in der Cebit-Sonderausgabe der Bewerberzeitung »Markt und Chance« zitiert. Kein Wunder, selbst bei einem Konjunkturabschwung sei der Arbeitskräftemangel in dieser Branche unverändert hoch, so dass zumindest im nächsten Jahrzehnt angehende Informatiker mit einem Arbeitsplatz rechnen können. Während es momentan knapp 80000 Informatiker gibt, könnte ihre Zahl in naher Zukunft auf zwei Millionen steigen, so die optimistischen Prognosen, die aber von Branchenkennern angezweifelt werden. So äußert sich eine Studie der Initiative D21 – einem Zusammenschluss von über 200 Mitgliedsfirmen und Förderern unter Vorsitz des IBM-Deutschland-Chefs Erwin Standt – vorsichtiger. Demnach fehlen in Deutschland ca. 150000 IT-Spezialisten. Auch rühren die unterschiedlichen Zahlen von der unklaren Definition, was eine IT-Fachkraft ist. Doch in der Tendenz ist auch die D21-Studie eindeutig. Der Arbeitskräftemangel in der Informationsbranche wird sich kurzfristig nicht beheben lassen. Die Wirtschaftsexperten rechnen sogar damit, dass das Bruttoinlandsprodukt um jährlich etwa 100 Milliarden Euro geringer ausfallen wird, als es idealtypisch möglich wäre, weil wegen Arbeitskräftemangels Projekte nicht oder nicht im gewünschten Ausmaß realisiert werden können. Hinzu käme ein nicht bezifferbarer Verlust technologischer Vorteile für die führenden Unternehmen. Solche an die Substanz des nationalen Standorts Deutschland gehende Zahlen rufen natürlich die Politik auf den Plan. Gerhard Schröders Greencard-Initiative anlässlich der Cebit 2000 ist ein Beispiel. Weil bisher nur ca. 6000 Spezialisten auf diese Weise in Deutschland angestellt wurden, hat der Bundeskanzler bei der diesjährigen Cebit noch einmal nachgelegt. Die Arbeitsmöglichkeiten für ausländische Fachleute sollen verbessert und die Aufenthaltsdauer ausgeweitet werden. Ob damit das Interesse am Standort Deutschland verbessert wird, bleibt abzuwarten. Schließlich ist der Konkurrenzkampf groß. In allen europäischen Staaten sind die IT-Spezialisten begehrt. So wandern auch in Deutschland ausgebildete Spezialisten ins Ausland, vornehmlich in die USA ab. Allein 1999 waren es nach einer Studie der amerikanischen Georgetown-Universität 2450 Fachleute, die sich mit einem der deutschen Greencard vergleichbaren H-1B-Visum in den USA niederließen. Viele junge Wissenschafter sind darunter. Mit der anstehenden Dienstrechtsreform und der Ausschreibung von Juniorprofessuren soll der Wissenschaftsstandort Deutschland im internationalen Konkurrenzkampf fit gemacht werden. Auch die im internationalen Vergleich in der hiesigen IT-Branche deutlich unterrepräsentierten Frauen wurden als Arbeitskraftreserve wiederentdeckt. Mit gezielten Kampagnen will man Interesse an der IT-Branche fördern. So versuchen Ingenieurverbände mit dem schlichten Slogan »Die Technik ist weiblich«, Frauen für diesen Bereich zu interessieren. Schnupper-Studien, Mädchentechniktage oder die Initiative Frauen in der Technik (FiT) haben das gleiche Ziel. Doch neu ist es gar nicht, dass immer dann, wenn in einer Branche Not am Mann ist, die Arbeitskraft der Frauen entdeckt wird. Schon für das Jahr 2003 sprechen Fachleute von einer Sättigung des Arbeitsmarkts im nichtakademischen Bereich. Spätestens dann dürfte uns eine Diskussion um die für Frauen gesundheitsschädlichen Folgen der IT-Arbeitsplätze ins Haus stehen. Dann dürfte auch wieder die Rückkehrklausel bei den ausländischen Experten die öffentliche Diskussion bestimmen. Denn die deutsche Wirtschaft hat Interesse an Arbeitskräften und nicht an Menschen. (ND 21.07.01) |