junge Welt 16.11.2000
Nicht zu gründlich Anläßlich seines 70. Gründungstages begann das Iberoamerikanische Institut in Berlin mit etwas Vergangenheitsforschung _________________________________________________________________
Über 50 Jahre nach Kriegsende haben längst nicht alle bundesdeutschen Institutionen ihre braune Vergangenheit aufgearbeitet. Jüngstes Beispiel: das Iberoamerikanische Institut (IAI) in Berlin. Europas größte Bibliothek für lateinamerikanische Schriften mußte erst 70 Jahre alt werden, um sich wenigstens zaghaft mit einem Forschungsprojekt an die eigene Vergangenheit zu wagen. Ein Teilresultat dieses Projekts war kürzlich für wenige Tage in der Bibliothek des Instituts zu besichtigen - mit bemerkenswerten Dokumenten.
Schon bei der Eröffnung 1930 machte das Institut mit seiner Namensgebung deutlich, daß es sich als Teil der nationalistischen Rechten verstand. Die lehnte die Bezeichnung »lateinamerikanisch« vehement ab. Mit »iberoamerikanisch« sollte die Verbundenheit mit der Kolonialgeschichte Spaniens und Portugals hervorgehoben werden. Das Gründungsdatum 12. Oktober 1930 war ganz in diesem Sinn kein Zufall. Der Tag wurde in Erinnerung an die Eroberung des amerikanischen Kontinents durch Kolumbus von den Nationalisten in Spanien und Portugal als »Dia de Raza« gefeiert. Auch die deutsche Rechte feierte mit.
Da war ein Mann wie Wilhelm Faupel wie geschaffen für den Posten des IAI-Präsidenten, auf den er 1934 von den Nazis gehievt wurde. 1904 meldete sich Faupel als Freiwilliger zur deutschen Kolonialarmee, um den Aufstand von Hottentotten und Hereros im Süden Afrikas niederzuschlagen. Die Militärs leisteten ganze Arbeit und meldeten seinerzeit nach Berlin: »Das Strafgericht hatte ein Ende gefunden. Die Hereros haben aufgehört, ein selbständiger Volksstamm zu sein.« Faupel setzte seine Karriere als Berater der argentinischen Armee fort. Nach 1918 konnte er seine Erfahrungen bei der Aufstandsbekämpfung im eigenen Land nutzen. Als Freikorpskommandant machte er in Dresden, München, Sachsen und Berlin Jagd auf revolutionäre Arbeiter.
Im Januar 1919 fungierte Faupel sogar für einige Tage als Berliner Stadtkommandant. In Görlitz feuerte das »Freikorps Faupel« auf unbewaffnete Arbeiter. Es gab mehrere Tote. Als eine Delegation der Verteidiger der Bayerischen Räterepublik die Erstürmung Münchens verhindern wollte, ließ ihnen Faupel mitteilen: »Sagen Sie Ihren Auftraggebern, daß sich die Münchner von heute an wieder an den Anblick disziplinierter Soldaten gewöhnen werden«. Beim Kapp-Putsch 1920 gehörte Faupel zu den Putschisten gegen die junge Weimarer Republik. Danach mußte er Deutschland verlassen und wurde Militärberater in Peru. Die Maxime seiner Arbeit in Lateinamerika hat Faupel so formuliert: »Meine Hauptaufgabe ist es, den französischen Einfluß zu schwächen und die deutsche Ideologie zu kräftigen.«
Eine Aufgabe, die Faupel als IAI-Chef mit Verve verfolgte. Dabei gingen ihm die NSDAP-Auslandsgruppen immer zur Hand. Sie meldeten z. B. nach Berlin, wenn in Venezuela oder Argentinien Schulbücher verwandt wurden, die Deutschland kritisierten. Faupel kümmerte sich persönlich um Abhilfe. Ab 1941 wurde sein Tätigkeitsfeld allerdings enorm eingeschränkt. Viele lateinamerikanische Regierungen entschlossen sich, in den Krieg auf Seiten der Anti-Hitler-Koalition einzutreten. Der pompös gefeierte »Tag der Rasse« wurde gestrichen. Die Arbeit von Faupel und Co. hatte aber in Lateinamerika Früchte getragen. Nach 1945 gelang es vielen führenden Nazis, dort Unterschlupf zu finden. Faupel schaffte es nicht mehr. Am 1. Mai 1945 verübte er mit seiner Frau in Berlin Selbstmord. Für das IAI war damit die Angelegenheit erledigt. Kein einziger von Faupels Paladinen wurde je zur Rechenschaft gezogen, dagegen reagierten in den 50er Jahren bundesdeutsche Medien äußerst ungehalten auf Aufklärungsversuche von lateinamerikanischer Seite.
Die sich nun vollziehende institutseigene Vergangenheitsaufklärung will durchaus an alte Traditionen anknüpfen. Projektleiter Günther Vollmer erklärte in der taz: »Für das Haus selbst bedeutet die Auseinandersetzung mit der Nazizeit ein Schritt aus dem Bibliotheksimage heraus - hin zu einem mit neuer kulturpolitischer Bedeutung«. Die Berliner Regierung will deutsches Selbstbewußtsein in aller Welt fördern - und das IAI steht wieder einmal bereit. Ein bißchen Vergangenheitserforschung kann dabei nicht schaden. Allerdings allzu gründlich braucht die nicht zu sein.
Die durchaus sehenswerte Ausstellung war im Gebäude des IAI übrigens schwer zu finden. Die Mühe, einen Katalog zu erstellen, hatte man sich erst gar nicht gemacht.
Peter Nowak |