junge Welt09.12.2000 Warum wollen Sie nicht mit Politikern demonstrieren? jW sprach mit dem Politologen Yonas Endrias, Koordinator eines Bündnisses afrikanischer Organisationen ... _________________________________________________________________
.. das zum Tag der Menschenrechte am Sonnabend in Berlin zu einer Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit aufruft
F: Unter dem Titel »Black out?« wird es am heutigen Samstag in Berlin eine antirassistische Demonstration geben. Wieso eine Demonstration Farbiger?
Die Demonstration wird um 14 Uhr vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor ziehen. Dort werden auf einer Kundgebung Vertreter mehrerer afrikanischer und schwarzer deutscher Organisationen sowie von Flüchtlingsinitiativen sprechen.
Verschiedene afrikanische und schwarze Organisationen reagieren so auf den dramatischen Anstieg der Opfer rassistischer Gewalt in der letzten Zeit in Deutschland. Wir haben den Internationalen Tag der Menschenrechte als Termin gewählt, weil wir darauf hinweisen wollen, daß diese Menschenrechte in Deutschland nicht für alle Menschen garantiert sind. Das ist mittlerweile längst im Ausland bekannt. So warnt die amerikanische Regierung fremdaussehende Menschen bereits vor Reisen nach Deutschland, weil sie rechte Angriffe befürchten müssen. Solche Warnungen wurden bisher immer nur in bezug auf Länder der sogenannten 3. Welt ausgesprochen.
F: Die Demonstration wird von einem Bündnis verschiedener schwarzer Organisationen vorbereitet. Ist eine solche Selbstorganisierung in Berlin neu?
Nein. Schon vor etwa neun Jahren haben verschiedene afrikanische und schwarze Organisationen einen Trauermarsch durch Berlin organisiert, weil der Rassismus in Deutschland nach der Vereinigung erschreckend gewachsen ist. Wir wollten damit unseren Schmerz über die in Deutschland ermordeten Afrikaner zum Ausdruck bringen. Es haben sehr viele schwarze Menschen an dieser Aktion teilgenommen. Heute ist unsere Situation noch schlimmer geworden. Das beweisen die Statistiken, die vom Bundeskriminalamt und von Regierungsorganisationen veröffentlicht wurden.
F: Für Samstag hat auch die Regierung zum »Marsch der Anständigen« aufgerufen. Warum hat das Bündnis der afrikanischen Organisationen eine Teilnahme abgelehnt?
Bei vergleichbaren Aktionen in der Vergangenheit sind zu viele Politiker mitmarschiert, die selbst viele unserer Probleme verursacht und Rassismus in Deutschland geschürt haben. Schon vor neun Jahren haben wir von den Politikern nach jedem rassistischen Angriff Betroffenheitsfloskeln gehört. Geändert hat sich nichts.
F: Die Demonstration wendet sich also nicht nur gegen Rassismus der Neonazis?
Es geht auch gegen den institutionellen Rassismus, der dazu führt, daß viele rassistische Übergriffe nicht aufgeklärt werden und gefaßte Täter mit Bewährungsstrafen davonkommen.
F: WeIche weiteren Aktionen fanden im Vorfeld der Demonstration statt?
Wir haben uns am Mittwoch mit einem Farbkatalog und einem Fragebogen vor die Gedächtniskirche gestellt und Passanten gefragt, wie sie zu ihrer jetzigen Hautfarbe kommen, wie sie sie bezeichnen würden und wer über die Leitfarbe entscheiden soll. Es ging uns darum, das Thema Leitkultur mit Humor und Witz aufzugreifen. Wir haben festgestellt, daß die Menschen auf der Straße nicht unbedingt mit den Politikern übereinstimmen. Die setzen bewußt Begriffe wie Leitkultur in die Welt, um sie für ihr parteipolitisches Kalkül zu gebrauchen.
Am Vorabend der Demonstration, am Freitag abend, hatten wir im Rathaus Schöneberg ein außerparlamentarisches Hearing zur anhaltenden rassistischen Gewalt organisiert. Daran nahmen Vertreter verschiedener afrikanischer Organisationen und Bundestagsabgeordnete aller Parteien teil.
Interview: Peter Nowak |