junge Welt 15.11.2000 Weiße Folter am Pranger TAYAD will Widerstand gegen Einführung von Isolationszellen in der Türkei bündeln _________________________________________________________________
Mehr als 300 Menschen fanden sich am Wochenende in einem Theater in der Innenstadt von Istanbul zusammen, um auf einem Kongreß gegen die Pläne der türkischen Regierung zu protestieren, die politischen Gefangenen zwangsweise in Isolationsgefängnisse zu verbringen. Schon seit Jahren planten die Militärs, die eigentliche Macht in dem Land am Bosporus, die bisherigen Gefangenenkollektive zu zerschlagen. In den letzten Monaten wurde mit der Umsetzung begonnen. Seit Mai 2000 wurden mehrere Gefängnisneubauten mit den Isolierzellen bezugsfertig. In den letzten Wochen sind Gefangene der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die sich heute mit den Verhältnissen in der Türkei arrangieren, freiwillig in diese Zellen gagangen. Gefangene verschiedener revolutionärer Organisationen wie der DHKP/C und der TKP/(ML) haben hingegen am 20. Oktober mit einem unbefristeten Hungerstreik begonnen. Neben der Verhinderung der Isolationshaft gehört die Abschaffung der Staatssicherheitsbehörden und aller Sondergesetze zu ihren Forderungen.
Mit der Konferenz wollte TAYAD, eine Organisation der Angehörigen der politischen Gefangenen, die Forderungen der Gefangenen unterstützen und in der Gesellschaft breiter verankern. Zur Zeit ist die Solidarität mit den Hungerstreikenden noch nicht sehr ausgeprägt. »Wir versuchen seit mehr als sechs Monaten, über die Hintergründe der geplanten Isolationshaft aufzuklären. Doch wir hätten viel früher anfangen und viel mehr machen müssen, um eine gesellschaftliche Kraft zu werden«, meinte die TAYAD- Aktivistin Sükran Agdas gegenüber junge Welt.
Vor allem die Mütter der Gefangenen gaben mit ihren weißen Tüchern und roten Halsbändern dem Kongreß sein buntes Gepräge. Der Kongreß sollte die zahlreichen Aktionen gegen die Isolierzellen bündeln und Alternativen zur Politik des Wegschließens aufzeigen. »Wir haben bewußt prominente Künstler und Schriftsteller eingeladen, damit diese Vorschläge auch in der Öffentlichkeit gehört werden«, meinte eine Frau aus der Konferenzvorbereitung. Tatsächlich hat man das Spektrum der Beteiligten von Anfang an denkbar breit angelegt. Juristen, Mediziner, Künstler, Politiker verschiedener kleiner linker Parteien, aber auch islamistischer Organisationen kamen zu Wort. Reformjuristen, die sich für eine Rehabilitation von Straftätern aussprachen und einen moderierten Kleingruppenvollzug befürworteten, äußerten sich ebenso wie verschiedene Ärzte, die den hypokratischen Eid bei ihren Kollegen anmahnten und mehrere Fälle aufzeigten, bei denen politische Gefangene gestorben sind, weil ihnen die medizinische Behandlung verweigert wurde.
Die Rechtsanwältin Eren Keskin vom Internationalen Menschenrechtsverein (IHD) stellte einen Zusammenhang her zwischen der Behandlung der politischen Gefangenen in der Türkei und einem kapitalistischen System, in dem immer mehr Menschen in Not und Armut leben. Keskin erinnerte auch daran, daß in der BRD in den 70er Jahren politische Gefangene durch ein fein ausgeklügeltes 24-Punkte-Programm isoliert wurden. Ilse Schwipper hatte die Auswirkungen dieses Programms am eigenen Leib erfahren. Mehr als sechs Jahre hatte sie in der BRD unter Isolationshaftbedingungen in Berlin- Moabit verbracht. Sie berichtete auf dem Kongreß über die maßgebliche Rolle, die die BRD bei der Entwicklung der Isolationsgefängnisse und bei deren Export in verschiedene Kontinente spielte. Ende der 80er Jahre wurden so die Kollektive der Grapo-Gefangenen in Spanien zerschlagen. Auch in Chile und Argentinien wurden die alten Folterknäste durch die modernen Isolationstrakte ersetzt. »Die rote Folter wird durch die weiße Folter ersetzt«, brachte es die ehemalige Gefangene Schwipper auf den Punkt. Doch auch die Gegner der weißen Folter organisieren sich international. So gab es zahlreiche Grußadressen, Delegationen zum TAYAD- Kongreß kamen unter anderem aus Pakistan, Griechenland, Spanien, Italien und aus Deutschland.
Am Ende des Kongresses wurde ein umfangreicher Forderungskatalog verabschiedet. Ziel ist die »Demokratisierung« der Gefängnisse in der Türkei. Auch wenn die türkische Regierung mit der Ernennung eines Rechtsaußenpolitikers zum Menschenrechtsbeauftragten des Parlaments signalisierte, auf diese Forderungen nicht eingehen zu wollen, gingen die Kongreßbeteiligten mit dem Optimismus auseinander, daß der Kampf gegen die Isolationsgefängnisse weitergeht.
Peter Nowak, Istanbul |