Frankfurter Rundschau vom 28.11.2000Perspektiven sind am Ende. Studentenzeitung eingestellt
Von Peter Nowak
Mit der Publikation dieser Ausgabe stellt das Projekt Perspektiven seine Arbeit ein. Der Hauptgrund für diese Entscheidung ist die Tatsache, dass die meisten unserer langjährigen Mitarbeiter mittlerweile ihr Studium abgeschlossen haben und nicht wenige aus Frankfurt weggegangen sind." Mit diesen lapidaren Sätzen im Editorial der letzten Ausgabe wurde den Lesern mitgeteilt, dass Deutschlands einzige mehrsprachige Campuszeitung ihr Erscheinen einstellt. Schon ihr Titel war Programm.
Perspektiven mit dem Untertitel "die Internationale Studentenzeitung" war noch ein Relikt aus den großen Studentenstreiks 1988/89. Damals besetzten die Kommilitonen quer durch die Bundesrepublik die Universitäten und diskutierten einige Wochen lang über Herrschaftskritik, feministische Lerninhalte und eine von staatlichen Zwängen weitgehend verschonte Universität. Utopien, die schnell dem grauen Uni-Alltag gewichen sind.
Doch in den Perspektiven hatte sich bis zum Schluss etwas von der Diskussionskultur jener Tage erhalten. Viele Kommilitonen werden die Zeitung nie in die Hand genommen haben. Schließlich mutete ihr Layout seltsam anachronistisch an. In einer Zeit, wo auch am Campus die bunten Lyfestilmagazine ihren Siegeszug angetreten haben, prägten mehrseitige Artikel das vierteljährlich erschienene Blatt. Die Beiträge wurden in Deutsch und der jeweiligen Ursprungssprache des Autors abgedruckt. So konnte man in den unterschiedlichen Ausgaben japanische, arabische und kyrillische Schriftzeichen bewundern.
Die Redaktion der Perspektiven hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie von der Kritischen Theorie beeinflusst war. Auf ihren Seiten publizierten immer wieder international renommierte Wissenschaftler, die dieser Denkschule verbunden sind. Mit Detlev Claussen, Moishe Zuckermann und Moishe Postone sind im Abschiedsheft noch einmal drei bekannte Exponenten mit Beiträgen vertreten.
Auch wenn für die Perspektiven-Redaktion theoretische Beiträge im Vordergrund standen, griff sie immer wieder auch in tagespolitische Debatten ein und löste damit kontroverse Reaktionen unter ihren Lesern aus. So gab es Abo-Abbestellungen, nachdem Teile der Perspektiven-Redaktion auf dem Höhepunkt des Bosnien-Krieges die militärische Unterstützung der Moslems von der Bundesregierung gefordert hatten.
Das kritische Hinterfragen auch scheinbar linker Politikformen hatte sich die Redaktion auf die Fahnen geschrieben. In der letzten Ausgabe berichtet ein kanadischer Politologe, wie die staatliche Vertreibung obdachloser Jugendlicher aus Torontos Innenstadt nicht nur von konservativen Politikern, sondern auch von Feministen und Schwulenverbänden unterstützt wird. Sein Resümee: "Was die Politik der political correctness und autoritärer Neokonservatismus kurz gesagt gemeinsam haben, ist eine anti-libertäre Betonung der gesellschaftlichen Anpassung; sie unterscheiden sich einfach nur bezüglich des Inhalts der moralischen Normen, an die sich die Individuen anzupassen haben."
Mit den Perspektiven verabschiedet sich ein weiteres Campus-Forum, das kritische Reflexion noch in den Mittelpunkt stellte. Vielleicht ist es ja auch nur ein Abschied auf Zeit, und es findet sich ein neues Team, das das Zeitungsprojekt weiterbetreibt. Schließlich feierte der schon mehrmals eingestellte Diskus - die legendäre Studentenzeitung der älteren Frankfurter Schule - kürzlich in modischem Outfit, aber alten Inhalten, eine neues Comeback. |