Junge Welt 14.08.2000
Tricks beim Atomausstieg Mit AKW-Stillegungsgeldern kauft sich schwedischer Energiekonzern ins deutsche AKW-Geschäft ein _________________________________________________________________
Die Passanten am Hamburger Rathaus staunten nicht schlecht, als ihnen letzten Mittwoch von einer Gruppe Fahrradfahrer eine Konsenssuppe überreicht wurde, die sie auslöffeln durften. Kritisiert werden sollte mit dieser Aktion der deutsche Atomkonsens. Verantwortlich für die Aktion war eine internationale Anti-AKW-Fahrradkarawane, die auch in Hamburg Station gemacht hatte.
60 Atomkraftgegner aus acht Ländern, darunter den USA, der Ukraine, Marokko und Gambia, radelten in der vergangenen Woche von Südschweden nach Norddeutschland, wo sie bis Sonnabend an den AKW- Standorten Krümmel, Stade, Brokdorf und Brunsbüttel für die sofortige Abschaltung demonstrierten. Unterstützt wurde die Initiative unter anderem von Robin Wood, Eurosolar, der Hamburger GAL-Abspaltung »Regenbogen - Verein für eine neue Linke« sowie einzelnen Europaabgeordneten der Grünen aus Deutschland und Schweden. Schirmherr war der deutsch-schwedische Stifter des Alternativen Nobelpreises Jakob von Uexküll.
Das deutsch-schwedische Netzwerk nennt sich nach Barsebäck, dem AKW-Standort in Südschweden, an dem die Fahrradkarawane startete. Das hatte seinen Grund. Schließlich begann mit der Abschaltung des Blocks 1 von Barsebäck die erste Phase der schwedischen Atomausstiegsvariante. Für die schwedischen Ökologen ist das allerdings kein Grund zur Freude. Wurde doch der Barsebäck-Eigner Sydkraft für die Abschaltung mit Stromkontingenten des staatlichen Versorgers Vattenfall entschädigt. Der wiederum hat vom schwedischen Staat umgerechnet eine Milliarde Mark erhalten. Mit dieser Entschädigungssumme hat sich Vattenfall im vergangenen Jahr mit 25,1 Prozent bei den Hamburger Energiewerken (HEW) eingekauft. Eine Option für weitere 25,1 Prozent der HEW-Anteile hält sich Vattenfall offen. Dann hätte die schwedische Firma die Mehrheit bei dem norddeutschen Stromkonzern, der 80 Prozent seines Stromes in Atomkraftwerken produziert.
»Die Entschädigung, die unsere Regierung für den Ausstieg zahlt, investiert Vattenfall in Atomkraft in Deutschland, und die Regierung tut nichts, um diese absurde Atomrochade zu verhindern«, empört sich Roland Rittman von der Antiatomkraftorganisation Barsebäcksoffensiv-Südschweden. Im Gegenteil: Als Vattenfall-Eigner habe der schwedische Staat ein ökonomisches Interesse am Weiterbetrieb der von der HEW betriebenen AKW Stade, Krümmel, Brokdorf und Stade, so der schwedische Ökologe. »Für mich macht das den schwedischen Ausstieg völlig unglaubwürdig«, lautet sein Fazit. Außerdem befürchten die schwedischen AKW- Initiativen, daß mit der Abschaltung von Barsebäck 1 das Ausstiegsprogramm bereits beendet ist. Schließlich waren die Entschädigungszahlungen so enorm, daß für die Abschaltung der elf weiteren schwedischen AKW kein Geld mehr da ist.
»Mit unserer Aktion wollen wir zeigen, daß die Zukunft der Anti-AKW-Bewegung in Zeiten der weltweiten Liberalisierung der Strommärkte und windiger Ausstiegsbeschlüsse in der Internationalisierung der Proteste liegt«, meint Barsebäck-Pressesprecher Ole von Uexküll.
Peter Nowak |