junge Welt11.10.2000
Einebnung der Kritischen Theorie Die Zivilgesellschaft macht keine Gefangenen. Neueste Opfer: Hannah Arendt und Theodor W. Adorno _________________________________________________________________
Das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden kommt nicht aus den Schlagzeilen. Vor fast einem Jahr veröffentlichte ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts einen Artikel, in dem er den Hitler-Attentäter Georg Elser moralisch aburteilte. Während Institutsdirektor Klaus- Dietmar Henke gegen die Veröffentlichung votierte, unterstützte sein rechtslastiger Stellvertreter Uwe Backes den umstrittenen Beitrag. Der Beirat des Instituts, dem immerhin so renommierte Wissenschaftler wie Saul Friedländer und Hans Mommsen angehören, stellte sich hinter Henke. Backes hingegen bekam Rückendeckung vom sächsischen Kultusminister Matthias Rößler (CDU). Ihm wird auch die maßgebliche Verantwortung dafür zugeschrieben, daß Henke zum 31.Januar 2001 das Institut verlassen muß. Sein Vertrag wird nicht mehr verlängert. Damit werden die Weichen für die zukünftige wissenschaftliche Ausrichtung eines Instituts gestellt, das den Namen der von den Nazis ins Exil getriebenen Soziologin trägt. Nicht mehr die Forschung über das Naziregime, sondern die totalitarismustheoretische Erledigung der DDR soll künftig im Mittelpunkt stehen.
Die Politposse in Dresden ist kein Einzelfall, wie eine vom AStA der Carl-von-Ossietzky- Universität Oldenburg herausgegebene Broschüre klar belegt. Das dortansässige »Hannah-Arendt-Forschungszentrum«, dessen Wissenschaftsapparat überwiegend mit zu Zivilgesellschaftlern bekehrten Exlinken besetzt ist, gilt als rot-grüne Denkfabrik. Am Beispiel der Tagung »Hannah Arendt und Theodor W. Adorno. Das Jahrhundert verstehen«, die an der Oldenburger Universität stattfand, zeigen die Autoren auf, wie das Denken beider für die Zivilgesellschaftsdebatte, den Menschenrechtsinterventionismus und sogar für die Historisierung der Shoah benutzt wird.
So nahm die US-Wissenschaftlerin Dagmar Barnouw in ihrem Referat auf der Tagung positiv Bezug auf die umstrittene Rede des Schriftstellers Martin Walser, in der er eine Historisierung des Holocaust forderte. Walsers Kontrahent Ignaz Bubis hingegen wurde von Barnouw der »De-facto-Heiligsprechung des gesamten Komplex Holocaust« geziehen, um der »Gruppe, die er vertrat«, »eine machtpolitisch höchst vorteilhafte Position« zu sichern. Wie kommt es, daß auf einer Adorno und Arendt gewidmeten Tagung solche Töne zu hören sind, fragen sich die Verfasser der Broschüre. Die Antworten sind nicht einhellig. Während Klaus Thörner und Cordula Behrens-Naddaf die Aktualität der Analysen von Arendt und Adorno für die Reformulierung einer radikalen Gesellschaftskritik in den Mittelpunkt stellen, zeigen Lars Rensmann und Gerhard Scheit auf, daß sich in den Schriften der beiden Kritischen Theoretiker sehr wohl Textstellen finden, auf die sich Zivilgesellschaftler und Totalitarismustheoretiker stützen können. So bewertete Arendt den deutschen Faschismus zeitweise als »antinationale Bewegung«, »die dem deutschen Militarismus und Nationalismus geradezu diametral gegenübergestanden« habe. Scheit zitiert Textstellen aus Arendts Grundlagenwerk »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft«, in denen sie eine totale Gleichsetzung von Stalinismus und Faschismus vornimmt und so tatsächlich als Kronzeugin der Totalitarismustheorie fungieren könnte. Auch bei Adorno finden sich vergleichbare Textstellen, die von Zivilgesellschaftlern herangezogen werden können. Genügend Gründe also, Theorie und Praxis von Adorno und Arendt kritisch unter die Lupe zu nehmen. Trotzdem haben die Verfasser der Broschüre überzeugend dargelegt, daß es in den Schriften beider Denker einen grundlegenden Fundus von Denkansätzen gibt, die Totalitarismustheoretikern vom Schlage eines Uwe Backes besser nicht überlassen werden sollten. Thörners Fazit ist daher umstandslos zuzustimmen, auch wenn es ein reines Postulat bleiben muß: »Wer - wie die wissenschaftliche Arendt-Industrie in Dresden und Oldenburg - von Antisemitismus, Rassismus, Flüchtlingspolitik nicht reden will, sollte von Hannah Arendt schweigen.«
Peter Nowak
*** Die Broschüre »Im Hause des Henkers vom Strick geredet - Zur Unvereinbarkeit der Analysen von Arendt und Adorno mit der wissenschaftlichen just-in-time production der Berliner Republik« kann über den AStA der Universität Oldenburg (Uhlhornsweg 49-55, 26129 Oldenburg) bestellt werden |