junge Welt07.10.2000
Aktion oder Reflexion Zwei aktuelle Konferenzen in Berlin wollen Widerstand globalisieren _________________________________________________________________
Das Timing ist wohl zufällig. Kaum sind die Proteste gegen Internationalen Währungsfonds und Weltbank in Prag vorbei, überschneiden sich in Berlin die Veranstaltungen mit internationalistischem Charakter. Unter dem Motto »Gerechtigkeit oder Barbarei« hatte die PDS-nahe Rosa- Luxemburg-Stiftung eine beeindruckende Anzahl von Vertretern aus Befreiungsbewegungen der Welt nach Berlin eingeladen. Schwerpunktmäßig kamen Aktivisten von Bauernbewegungen zu Wort. Unverkennbar war, daß die Ideologie des Neozapatismus auf der Konferenz dominierte. Der Spruch des Subcommandante Marcos »Wir müssen die Welt nicht erobern - es reicht, sie neu zu schaffen« war eines der Konferenzmottos. Die Zahl der Teilnehmer hielt sich allerdings in Grenzen, was wahrscheinlich auch daran lag, daß die Veranstaltung Donnerstag und Freitag stattfand. Auch die 23. Bundeskonferenz entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (Buko), die am Wochenende unter dem Titel »WTO und soziale Bewegungen im globalen Kapitalismus« in der Humboldt-Universität tagt, orientiert sich an einem Marcos-Spruch: »Fragend gehen wir«. Dies sei auch das Prinzip des 1977 in München gegründeten Zusammenschlusses von mehr als 170 Dritte-Welt-Gruppen und internationalistischen Basisinitiativen aus der ganzen Republik«; erklärte Markus Wimmen vom Buko-Schwerpunkt »Weltwirtschaft« auf einer Pressekonferenz. Es gehe aktuell darum, den seit Seattle weltweit wahrnehmbaren Widerstand gegen die Welthandelsorganisation (WTO) theoretisch zu fundieren. Viele der an den Protesten beteiligten Gruppen seien bisher rein aktionistisch aufgetreten. Weil oft Theorie und Selbstreflektion fehlten, drohe ein Abgleiten in reformistisches Fahrwasser, so der Buko-Sprecher. Wimmen betonte den basisorientierten Charakter des Buko, der allerdings den kritischen Dialog mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) suche.
Thomas Seibert von Medico international betonte, daß seine Organisation seit Jahren sowohl im Buko als auch im NGO- Bündnis mitarbeite. Nach seiner Auffassung gibt es genügend Fälle, wo soziale Bewegungen reaktionärer als NGOs sind. So seien gerade unter den Globalisierungsgegnern nationalistische Positionen verbreitet,von denen sich der Buko eindeutig distanziere. Er warnte mit Blick auf den NATO-Krieg gegen Jugoslawien vor dem Bestreben staatlicher Stellen, die NGOs in die Militärstrategie einzubinden.
Seibert sieht aber gerade nach der Enttäuschung vieler Altlinker über die rot-grüne Bundesregierung einen enormen Bedarf an theoretischer und praktischer Reflexion, der von dem Buko nur begrenzt aufgegriffen werden kann. Schwerpunkt der Arbeit der Konferenz sind die Diskussionen in zahlreichen Arbeitsgruppen am Samstag abend. Zum Auftakt geht es um »Soziale Organisierung im Globalen Kapitalismus«. Dort debattieren NGO-Vertreter mit Aktivisten aus sozialen Basisbewegungen wie People Global Action (PGA). Auf der Abschlußdiskussion am Sonntag vormittag sollen dann unter dem programmatischen Titel »Widerstand weltweit von unten organisieren« Aktivisten aus Mexiko, den USA sowie ein Vertreter der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten zu Wort kommen.
Peter Nowak |