junge Welt 26.10.2000
Wie aktuell ist ein Film über linken Widerstand? jW sprach mit Inge Viett _________________________________________________________________
(Der Film »Große Freiheit - Kleine Freiheit« läuft ab heute in den Kinos. Er erzählt die Geschichte von Inge Viett aus der BRD und Maria Barhoum aus Uruguay)
F: Ab heute kommt der Film »Große Freiheit - Kleine Freiheit« in die Kinos, der Ihre Biographie zum Thema hat. Wie kam es zu diesem Film?
Schon 1997 begannen die ersten Gespräche zu dem Film. Zu dieser Zeit habe ich von verschiedenen Seiten Anfragen bekommen. Aber das hat mich alles nicht interessiert. Dann lernte ich die Regisseurin Kristina Konrad kennen und habe mir ihre Dokumentararbeiten angesehen. Sie interessierte sich immer für die Seite des Widerstands. Ihre Filme waren klar und sensibel. Wir haben uns dann sehr viel Zeit genommen, denn es ging um mehr als einen Film.
F: In dem Film wird neben Ihrer Biographie die der uruguayischen Militanten Maria Barhoum erzählt. Wie kam der Kontakt mit ihr zustande?
Die Regisseurin kannte Maria Barhoum schon vorher, und ihre Idee, unsere beiden Biographien - die Gleichzeitigkeit der Kämpfe auf zwei Kontinenten - in einem gemeinsamen Film zu erzählen, gefiel mir. Es ging eben nicht nur um meine Biographie, sondern um den weltweiten Widerstand, an dem sowohl Maria als auch ich beteiligt gewesen waren. Sie hat in Uruguay in der anarchistischen FAU gekämpft. Ich habe mich dann mit Marias Geschichte befaßt. Bei einem gemeinsamen Aufenthalt in Kuba lernten wir uns persönlich kennen. Ich habe in diesem Moment bedauert, daß ich so wenig spanisch spreche - Kristina war unser Sprachmedium. Aber da wir mit ähnlichen Blicken auf die Dinge der Welt sehen, konnten wir uns trotz manch fehlender Worte verstehen. Wir haben uns aufeinander eingelassen, ohne von Anfang an zu wissen, wie daraus ein gemeinsamer Film entstehen könnte.
F: Was war Ihre Motivation, nach Ihrer Autibiographie »Nie war ich furchtloser« auch noch mit einem Film an die Öffentlichkeit zu treten?
Wir müssen selber reden und können nicht erwarten, daß die Protagonisten des Systems, das wir immer bekämpft haben, dies für uns machen. Sie reden in der Regel nur von Terrorismus, und dahinter verschwindet jede Frage nach der Legitimität von revolutionärem Widerstand. Diese Methode der Denunziation ist so alt wie der Widerstand selber. Uns geht es in dem Film darum, deutlich zu machen, daß dieser bewaffnete Widerstand auch ein Mittel war, eine andere Welt durchzusetzen. Wir wollen unsere Seite, die Seite der Rebellinnen und Rebellen zeigen.
F: Im Film kommen mit Ralf Reinders und Ronald Fritsch ausschließend ehemalige Mitglieder der Bewegung 2. Juni als Zeitzeugen zu Wort. Wäre es im Sinne einer gemeinsamen Aufarbeitung der Geschichte des bewaffneten Kampfes nicht sinnvoll gewesen, auch ehemalige RAF-Mitglieder einzubeziehen?
Die Geschichte der Bewegung 2. Juni und der RAF ist ja nicht das zentrale Thema des Films, wie auch nicht die Geschichte der FAU und der Tupamaros. Ralf und Ronni gehören aber zu den Genossen und Genossinnen, mit denen ich jahrelang gemeinsam gekämpft habe. Eine gemeinsame Aufarbeitung der Widerstandsgeschichte ist momentan nicht möglich. Schließlich sind die Subjekte des Widerstands sehr unterschiedliche Wege gegangen. Eine gemeinsame Version unserer Geschichte könnte dann schnell langweilig werden, wenn alle Widersprüche heraus müßten. Ich denke da nur an die Darstellung der Geschichte der KPD in der DDR. Es ist daher viel sinnvoller, die unterschiedlichen Facetten des Widerstandes deutlich zu machen.
F: Besteht nicht bei jedem Film die Gefahr, den politischen Kampf zu historisieren und als etwas Abgeschlossenes darzustellen?
Natürlich ist jede politische Begebenheit, wenn sie im Film dargestellt wird, eine Historisierung. Sicher ist unser Widerstand gebrochen worden. Aber eine Niederlage bedeutet nicht das Ende. Solange Menschen mit den gleichen Bedingungen konfrontiert sind, gegen die wir ankämpften, stellt sich die Frage des Widerstandes immer wieder neu. Insofern ist das Thema des Filmes nicht nur Geschichte sondern ganz aktuell.
F: War »Große Freiheit - Kleine Freiheit« die Antwort auf Volker Schlöndorffs Films »Die Stille nach dem Schuß«, der sich mit den in die DDR übergesiedelten RAF-Aussteigern auseinandersetzt?
Nein. Die beiden Filme haben überhaupt nichts miteinander zu tun und sind völlig unabhängig voneinander entstanden. Immer wieder wird Ihre Biographie mit dem Schlöndorff- Film in Verbindung gebracht. Zu recht?
Der Regisseur Wolfgang Kohlhaase, der mir als ausgezeichneter DEFA-Drehbuchautor bekannt war, besuchte mich im Gefängnis und stellte mir in den Jahren 1994/1995 ein Filmprojekt über in die DDR emigrierte ehemaligen RAF- Leute vor. Ich fand später das Drehbuch enttäuschend, aber die Geschichte betraf mich nicht direkt. Nachdem meine Biographie veröffentlicht worden war, machte mir der Filmemacher Volker Schlöndorff das Angebot, den Teil zu kaufen, der mein Leben in der DDR zum Thema hat. Das fand ich vollkommen absurd und habe sofort abgelehnt. Auch alle späteren Versuche von Schlöndorff und Kohlhaase, mich doch noch als Beraterin in das Projekt einzubeziehen, habe ich zurückgewiesen. Später habe ich dann erfahren, daß Schlöndorff trotzdem Teile meine Biographie zur Grundlage seines Films genommen hatte. Schlöndorffs Film ist eine deutsch-deutsche Schmonzette, zu der meine Biographie nur das Gehäuse abgibt. Er läßt sich nirgendwo ernsthaft ein, weder auf den gesellschaftlichen Kontext noch auf die DDR. Das ist inhaltlich genau das Gegenteil von meinem Leben.
Interview: Arian Wendel / Peter Nowak |