junge Welt Interview 24.08.2000
Warum protestieren Sie auf der IG-Farben-Hauptversammlung? jW sprach mit Henry Mathews, Geschäftsführer des Dachverbandes Kritischer Aktionäre _________________________________________________________________
F: Sie haben gestern - wie in den vergangenen Jahren - wieder Proteste auf der Jahreshauptversammlung der »IG Farben AG in Abwicklung« organisiert. Wie verlief die Aktion?
Fast 200 Menschen haben vor den Tagungsräumen der Hauptversammlung für die sofortige Auflösung der IG Farben und die Entschädigung der Zwangsarbeiter mit deren Vermögen demonstriert. Zeitgleich haben auf der Hauptversammlung die Kritischen Aktionäre diese Forderungen mit eigenen Anträgen unterstützt. Dabei kam es zu Zusammenstößen mit dem Ordnerdienst, der einige Leute mit übertriebener Härte des Saales verwies.
Zu den Organisatoren gehören wie in den Vorjahren die VVN/Bund der Antifaschisten, das Internationale Auschwitz- Komitee, die Coordination gegen Bayer-Gefahren, der Dachverband der Kritischen Aktionäre sowie antifaschistische Gruppen aus Frankfurt, Marburg, Freiburg, Berlin und anderen Städten.
F: Die IG Farben will sich nicht an der Bundesstiftung zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter beteiligen und hat eine eigene Stiftung angekündigt. Sind damit Ihre Forderungen nicht trotzdem erfüllt?
Nein, diese Stiftung soll lediglich mit drei Millionen Mark ausgestattet sein und davon sollen nur die Zinsen an die ehemaligen Zwangsarbeiter ausgezahlt werden. Das sind nach Berechnungen des Managements ca. 300 000 Mark jährlich. Das ist entschieden zu wenig. Wir fordern die Bereitstellung des gesamten verbleibenden Kapitals von 24 Millionen DM für die Entschädigung der Zwangsarbeiter. Die Gründung der Stiftung wurde auf der Hauptversammlung im letzten Jahr angekündigt. Seitdem ist aber nichts geschehen, weil es angeblich beträchtliche Schwierigkeiten gab, das Geld aufzutreiben. Während für die Zwangsarbeiter also kein Geld vorhanden ist, wurden die Gehälter der beiden IG-Farben- Liquidatoren Volker Pollehn und Otto Bernhardt im letzten Jahr fast verdreifacht. Außerdem ist mit der Gründung der Stiftung nicht die Auflösung der IG Farben verbunden.
F: Im letzten Jahr erklärten die IG-Farben-Liquidatoren, daß die Auflösung bevorsteht. Hat sich seitdem in dieser Richtung etwas getan?
Im Gegenteil, die Liquidatoren haben wiederholt erklärt, daß sie weiterhin finanzielle Forderungen gegen die Schweizer Großbank UBS einklagen wollen. Das kann allerdings unter Umständen viele Jahre dauern. So steht eine Auflösung weiterhin in den Sternen.
F: Hat die Diskussion um die Zwangsarbeiter-Entschädigung Ihren Protesten neuen Schwung gebracht?
Von Vorteil ist, daß durch die Debatte das Thema Zwangsarbeit von mehr Menschen wahrgenommen wird. Andererseits besteht die Gefahr, daß die Stiftung eher die Schlußstrichmentalität fördert. Mittlerweile versuchen ehemalige Zwangsarbeiter, vor Gericht individuell Entschädigungszahlungen einzuklagen. Laut Frankfurter Rundschau sehen die Liquidatoren diesen Klagen gelassen entgegen.
F: Sind diese Individualklagen für Sie ein gangbarer Weg oder wird damit die politische Dimension negiert?
Es ist mittlerweile eine dreistellige Zahl von Individualklagen ehemaliger IG-Farben-Zwangsarbeiter vor deutschen Gerichten anhängig. Über die Erfolgsaussichten kann ich nicht urteilen. Wir unterstützen diese Klagen selbstverständlich. Die Gerichte könnten mit einem positiven Urteil nach mehr als 50 Jahren den wenigen noch lebenden Zwangsarbeitern wenigstens ein bißchen Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Interview: Peter Nowak |