junge Welt Feuilleton 26.08.2000
Tödlicher Zaun Ein Sammelband über die Grenze zwischen den USA und Mexiko _________________________________________________________________
*** Dario Azzellini, Boris Kanzleiter (Hg.): Nach Norden. Mexikanische ArbeitsmigrantInnen zwischen neoliberaler Umstrukturierung, Militarisierung der US-Grenze und amerikanischem Traum. Verlag der Buchläden Schwarze Risse - Rote Strasse, Berlin - Göttingen 1999, 267 Seiten, 20 DM
Der uruguayische Soziologe Eduardo Galeano hatte mit seiner Anfang der 90er Jahre abgegebenen Prognose zum Fall der Berliner Mauer recht, daß die auf unzähligen ermordeten Menschen aufgebaute Mauer zwischen erster und dritter Welt noch lange nicht fallen werde. Eine Ahnung davon bekommt, wer sich die Grenze zwischen Mexiko und den USA anschaut. Die beiden Berliner Journalisten Dario Azzellini und Boris Kanzleiter haben das sehr gründlich getan und die Ergebnisse ihrer Recherche als Sonderband des Forschungsverbands Berliner Flucht und Migration (FFM) veröffentlicht.
Den Gegenstand des Buches beschreiben die Politikwissenschaftler Kristina Nauditt und Gerd Wermerskirch so: »The Fence - der Zaun ist die Beschreibung für die etwa 3 100 km lange Grenze zwischen den USA und Mexiko. »Der Zaun« trennt die sogenannte Erste von der sogenannten Dritten Welt. Er ist kein Zaun zwischen zwei politischen Systemen oder zwei gegensätzlichen Ideologien, sondern zwischen arm und reich, zwischen Nord und Süd.« Ein weiterer gravierender Unterschied zur früheren Grenze zwischen Ost- und Westeuropa folgt gleich im Anschluß: »Bei der zunehmenden Militarisierung dieser Grenze während der letzten Jahre ging es allerdings nie darum, sie unpassierbar zu machen, sondern die Auslese zu verfeinern.« Wem es gelingt, alle Hindernisse zu überwinden - die Grenzanlagen, die Grenzpolizei, die in Verbindung mit einheimischen Aktivbürgern Jagd auf Migranten macht, die militanten Faschisten, die im Grenzgebiet auf Flüchtlinge lauern -, der ist fit genug, sich für Niedriglöhne auf dem US- Arbeitsmarkt, vorzugsweise in der Landwirtschaft, zu verdingen.
Im Jahre 1998 bezahlten 271 Menschen den Versuch, die Grenze zu übertreten, mit dem Leben. In der Regel erfroren sie im Gebirge oder verdursteten in der Wüste. 89 Menschen wurden von Angehörigen der Border Patrol, einer Art staatlich bewaffneter Flüchtlingsjäger, getötet oder verletzt. Im Zeitraum von 1993 bis 1996 starben 1185 Menschen an der Grenze.
Selten sind die Verbrechen so gut belegt wie beim Border- Patrol-Angehörigen Michael Elmer, der am 12. Juni 1992 den mexikanischen Arbeiter Miranda Valenuela angeschossen hatte und sein Opfer anschließend mit dem Gewehrkolben erschlug. Sein Kollege erstattete Anzeige. Doch im Dezember 1992 wurde Elmer in allen Punkten von der Anklage mit der Begründung freigesprochen, er habe in Ausübung seiner Pflicht gehandelt und sei somit im Sinne der Anklage unschuldig.
Ein solches Urteil ist nur in einem Klima des staatlichen Rassismus möglich, der sich durch die Geschichte der USA zieht und das sich auch immer gegen Bewohner Mexikos, die sogenannten Chicanos richtete, wie es Andreas Kühler in einer historischen Studie dokumentiert. 1848 annektierten die USA über ein Drittel des damaligen mexikanischen Territoriums. Dazu gehören die heutigen Bundesstaaten Kalifornien, Nevada, Utah, Arizona, New Mexico und Teile von Colorado. Die »Chicanos« waren beim Eisenbahnbau einem kolonialen Arbeitssystem unterworfen, das auf Schuldknechtschaft und einer nach rassisch-ethnischer Zugehörigkeit differenzierten Beschäftigungsstruktur basierte. Während der Wirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden über eine halbe Million der Chicanos auf illegale Weise nach Mexiko deportiert - ein drastischer Beleg für die Verschränkung von Rassismus und Kapitalismus.
Die politischen Aufbrüche der 60er Jahre ebenso wie der wirtschaftliche Boom führten zunächst zu einer Liberalisierung der US-Flüchtlingspolitik. Mit dem konservative Rollback und der anhaltenden Wirtschaftskrise wehte auch hier seit den 80er Jahren wieder ein anderer Wind. »Früher wurden Gesetze verabschiedet, um Diskriminierungen abzuschaffen, heute um sie zu autorisieren«; so Roberto Martinez, Organisator eines antirassistischen Grenzprojekts. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, daß die dünne Oberschicht von spanischsprachigen US-Bürgern gerade in Wahlzeiten von beiden Parteien umworben und ins System integriert wird, wie der Soziologe Mike Davis am Beispiel von Los Angeles beschreibt. Für die Flüchtlinge ohne Papiere ändert sich dadurch überhaupt nichts, wie die Autoren gründlich recherchierend und leicht verständlich belegen.
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