junge Welt21.12.2000 Warum werden Sie von Joseph Fischer belangt? Nach Bewährungsstrafe für Farbbeutelattacke nun Berufungsverhandlung _________________________________________________________________
Der Farbbeutel auf das Ohr von Bundesaußenminister Fischer beim grünen Kriegsparteitag im Mai 1999 in Bielefeld sorgte weltweit für Aufsehen. Zu einer Bewährungsstrafe verurteilt ging Samira in die Berufung. Heute findet das Verfahren in Bielefeld statt. jW fragte nach
F: Heute nachmittag findet gegen Sie in Bielefeld ein Prozeß statt. Worum geht es dabei?
Es geht noch mal um ein Farbei, das während des Sonderparteitags der Grünen in Bielefeld zum Jugoslawien- Krieg das Ohr von Bundesaußenminister Joseph Fischer getroffen hat. Das politische Ziel dieser Antikriegsaktion wird in dem jetzigen Verfahren noch einmal Thema sein. Ich hatte Berufung gegen ein richterliches Urteil eingelegt, das eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten, auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt, vorsah.
F: Es soll angeblich von seiten des Außenministers Einstellungsangebote gegen eine Geldbuße gegeben haben. Wie haben Sie darauf reagiert?
Im September letzten Jahres lancierte Fischer über den Spiegel die Meldung, er werde die Strafanzeige gegen mich zurücknehmen, wenn ich seine Arztrechnung bezahlen und eine Spende an die Kosovohilfe überweisen würde. Ich hätte dem Angebot zugestimmt, hatte allerdings einige Bedingungen an den Außenminister gestellt. Er müsse für die Opfer der sogenannten Kollateralschäden durch den Bombenkrieg in Jugoslawien ebenfalls die Arztrechnungen sowie Schadenersatz bezahlen. Außerdem wollte ich meine antimilitaristische Gesinnung durch die Aufnahme von drei Deserteuren in meiner Wohnung dokumentieren. Es sollte sich um je einen UCK-Kämpfer sowie um einen Soldaten des jugoslawischen Heeres und der NATO handeln. Allerdings war meine Bedingung, daß die Kosten für die Aufnahme durch die Regierung übernommen werden sollten. Fischer stellte sich bei diesen Vorschlägen völlig taub. Danach war von einer Einstellung keine Rede mehr.
F: Wie ist Ihre Prozeßstrategie?
Wir haben Berufung gegen das erste Urteil eingelegt, um den Widerstand gegen den Krieg positiv herauszustellen und auch in Zukunft mehr Zivilcourage gegen Krieg und Militarismus zu fördern. Denn der Krieg in Jugoslawien war nur der Auftakt. Weitere werden folgen.
F: Der Prozeß wird von Solidariätsaktionen begleitet. Was ist geplant?
Es gibt eine überregionale Mobilisierung zu diesem Prozeß. Auch aus Berlin wird ein Bus nach Bielefeld fahren. Heute um 11 Uhr wird eine Demonstration auf den Bielefelder Bahnhofsvorplatz beginnen. Um 12 Uhr wird auf dem Rathausplatz ein Anti-Kriegsdenkmal enthüllt. Ab 13 Uhr wird dann vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung sein. Dort wird unter anderem ein ehemaliger Kreisvorsitzender der Bielefelder Grünen sprechen, der wegen der Unterstützung des Jugoslawien-Krieges aus der Partei ausgetreten ist. Auch ein Totalverweigerer wird dort sprechen. Der Prozeß wird um 14 Uhr beginnen. Allerdings ist bei dem Prozeß die Öffentlichkeit nicht gewährleistet, weil der Richter in einem viel zu kleinen Saal verhandeln will. Ohne die Pressevertreter wäre dann gerade einmal Platz für zehn Interessierte.
F: Wie kann man sich über den Fortgang des Prozesses informieren?
Es gibt zwei Möglichkeiten, sich über Internet mit dem aktuellen Stand vertraut zu machen. Es gibt einen Videofilm, der über www.umbruch-bildarchiv.de/ bildarchiv/ereignis/farbbeutelprozess.html zu sehen ist. Weitere Informationen gibt es unter www.gaarden-net/mo_nato/
Interview: Peter Nowak |