junge Welt23.11.2000
Widerstand gegen Ämterwillkür Zweite Armutskonferenz der Gruppe »Hängematten e. V.« _________________________________________________________________
Armut in der BRD - ein meist verschwiegenes Thema. Selbst die von Armut Betroffenen machen sich selber oft für die Misere verantwortlich und schämen sich, an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Berliner Gruppe »Hängematten« will das ändern und die von sozialer Not und Ausgrenzung Betroffenen organisieren.
»Armut ist kein Zufall - Widerstand auch nicht« hieß denn auch das Motto der »2. Armutskonferenz von unten«, die von der Gruppe organisiert wurde. Mehr als 100 Menschen diskutierten am Wochenende im alten ND-Gebäude am Berliner Ostbahnhof über Armut in Deutschland. Ämterwillkür war ein zentrales Thema. Da lassen Behörden Sozialhilfeempfänger mit Detektiven bespitzeln, die nachweisen sollen, daß die Betreffenden arbeitsfähig sind. Ein Kaffeeklatsch, der von einer Sozialamtsmitarbeiterin zufällig beobachtet wurde, brachte einer Rentnerin die Kürzung der Sozialhilfe wegen »unwirtschaftlichen Handelns«.
Am Beispiel des neuen Berliner Großbezirks Friedrichshain-Kreuzberg zeigte eine Arbeitsgruppe auf, daß sich die finanziell Schwachen auch auf angeblich linke Parteien nicht verlassen können. »Es bleibt noch einmal festzuhalten, daß den Armen in diesem Großbezirk keine Perspektiven geboten werden. Da hilft auch kein Verweis auf die rot-grüne Sozialpolitik. Den Armen bleibt nur die Zwangsarbeit oder die Flucht in die als Selbsthilfe bemäntelte Billigarbeit«, lautet das ernüchternde Fazit in einem Thesenpapier.
»Nicht die Experten sollen über uns reden, sondern die Betroffenen sollen selber zu Wort kommen«, so das Credo eines »Hängematten«-Aktivisten. Daß auch die Betroffenen nicht alle gleich sind, machte der arbeitslose Sozialarbeiter Wolfgang deutlich: »Wo sind denn neben den arbeitslosen Sprachwissenschaftlern, Technikern und Computerexperten hier die nichtstudierten Betroffenen«, lautet seine mit Heiterkeit quittierte Frage.
Als Schwerpunktkampagne hat sich die Armutskonferenz die Abschaffung von Paragraph 25 des Bundessozialhilfegesetzes zum Ziel gesetzt. Dieses ermöglicht den Ämtern die Streichung oder Kürzung der Sozialhilfe bei unwirtschaftlichem Verhalten oder Verweigerung einer zumutbaren Arbeit. Einen kleinen »Erfolg« habe man schon errungen, sagt Wolfgang von Hängematte: Das Sozialamt Friedrichshain kürzt die Sozialhilfe jetzt nur noch um 25 statt wie bisher um 30 Prozent ...
Peter Nowak |