telepolis vom 25.9.06Szenen einer Vernunftehe Peter Nowak Erste Annäherungsversuche zwischen der SPD und FDP schlagen Wellen Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle sorgte für Schlagzeilen, nachdem er in einem Spiegel-Interview (1) die SPD zum Koalitionswechsel aufgefordert hatte: "Die große Koalition kann es nicht, wir brauchen eine andere Konstellation. Deshalb müssen wir jetzt ausloten, was geht", sagte der Westerwelle-Vertraute. Diese Volte ist aus mehreren Gründen verwunderlich. Die FDP hat damit deutlich gemacht, dass sie über Regierungskonstellationen nachdenkt, die sie einem Jahr noch kategorisch ausgeschlossen hatte Zur Erinnerung: Nach der vorgezogenen Bundestagswahl geisterte für kurze Zeit der Begriff von der Jamaika-Koalition durch die Medien. Damit war ein Bündnis von SPD, FDP und Grünen gemeint. Es war die SPD, die sich damit für einige Tage der Hoffnung hingab, weiterhin den Kanzler stellen zu können. Es war die FDP, die schnell deutlich machte, dass dieses Bündnis mit ihr nicht zu machen ist. Ein knappes Jahr später sieht die politische Welt in Berlin schon anders aus. Unter Brüderles "neuen Konstellationen" wird auch ein Bündnis mit den Grünen nicht mehr ausgeschlossen. Auch Westerwelle hat vor kurzem einige Lockerungsübungen in Richtung des ungeliebten Konkurrenten auf liberalem Feld gemacht. Tatsächlich hat sich seit einem Jahr die politische Landschaft verändert. Die Frontfiguren Schröder und Fischer sind von der politischen Bühne verschwunden. Gerade letzterer war für die Westerwelle-FDP das personifizierte Feindbild. Mit ihm verband sie historisch zwar nur bedingt korrekt den Alt-Achtundsechziger, der beim Marsch durch die Institutionen ganz weit oben angekommen ist und der Generation Westerwelle immer einen Schritt voraus war. Mit Fischers Abtritt wird der Blick auf die grüne Basis und aktuelle Programmatik deutlicher. Da kann auch ein Westerwelle die Gemeinsamkeiten nicht übersehen. Noch deutlicher sind die Veränderungen in der SPD durch die Wahl von Kurt Beck zum Parteivorsitzenden. Er hat mehrere Jahre in Rheinland-Pfalz in einer Koalition mit der FDP regiert und gute Kontakte zu den Liberalen aufgebaut. Die Wertschätzung für diesen SPD-Politiker brachte Brüderle im Spiegel zum Ausdruck: Wenn es Beck gelinge, die Sozialdemokraten "auf seinen pragmatischen und bürgernahen Kurs zu bringen", dann könne eine sozial-liberale Koalition mit einem Kanzler Beck "etwas zustande bringen", betonte Westerwelles Stellvertreter. Mit Argwohn wurde dieser politische Flirt verständlicherweise bei der Union verfolgt. Nach Medienberichten wurde ein schon vereinbartes Treffen zwischen Spitzenpolitikern von Sozialdemokraten und Liberalen kurzfristig wieder abgesagt. Die Union habe Druck auf ihren Koalitionspartner ausgeübt, hieß es. Nun gilt im politischen Berlin eigentlich der Grundsatz, dass alle demokratischen Parteien immer miteinander sprechen können. Gesundheitsreform als Spaltpilz So zeigt die Absage deutlich, die Instabilität der große Koalition. Die Flitterwochen des Zweckbündnisses, in denen Merkel und Müntefering aller Welt versicherten, wie gut man miteinander könne, waren schnell vorbei. Mittlerweile wartet jeder Partner auf Fehler beim anderen Teil. Bei allen größeren politischen Projekten gibt es Streit zwischen beiden Parteien. Sie sind nicht mehr gewillt, diese Auseinandersetzungen der Koalitionsräson wegen zu deckeln. Die Streitpunkte reichen vom geplanten Zentrum gegen Vertreibungen (2) über die Rede (3) des rechtskonservativen Historikers Arnulf Baring vor der hessischen Union bis der Suche nach einem Endlager für Atomabfälle (4). Wie von politischen Beobachtern schon vor Monaten vorausgesagt, hat sich die Gesundheitsreform (5) aber zum größten Zankapfel der Koalition entwickelt.Die aktuelle Kontroverse entwickelte sich an der Sozialklausel, die festlegt, dass Versicherte nur ein Prozent ihres Haushaltseinkommens für Zusatzbeiträge zur Krankenversicherung ausgeben sollen. Während Krankenkasse und Teile der Union daran rütteln, hält die SPD an der Klausel fest (6). Ein Spitzengespräch zwischen Merkel und Beck hat in der letzten Woche den Streit nicht beenden können. Der Hintergrund der Auseinandersetzungen sind die unterschiedlichen Modelle von SPD und Union für die Reform des Gesundheitswesens. Bei den Koalitionsvereinbarungen hat man den Streit vertagt, weil schon damals keine Einigung möglich war. Da aber im Herbst 2005 die Alternative zur großen Koalition nur die von SPD und Union gleichermaßen gefürchteten Neuwahlen gewesen wären, schob man den Streitpunkt auf die lange Bank. Ende ungewiss Prognosen über die Dauer der großen Koalition sind auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich. Schließlich ist ein Koalitionswechsel innerhalb einer Legislaturperiode ohne vorherige Neuwahlen für alle beteiligten Parteien riskant. Vor allem bei FDP und Grünen dürfte es da noch einige innerparteiliche Diskussionen geben, bevor man sich zu einer Kooperation bereit erklärt. So sind denn die gegenwärtigen Lockerungsübungen im politischen Berlin eher Positionierungen für die Zeit nach den nächsten Bundestagswahlen. Das könnten die regulären Wahlen im Jahr 2009 ebenso sein wie vorgezogene Neuwahlen, wenn die Gegensätze in der großen Koalition unüberbrückbar werden. Zumindest werden momentan schon die Argumente für die künftigen Wahlkämpfe formuliert. So bemüht sich die SPD, die CDU-geführten Landesregierungen als illoyal gegenüber der Unon und vor allem gegenüber Merkel darzustellen. Wenn das Regierungsbündnis platzt, waren im Zweifel eben die Merkelkritiker in ihrer eigenen Partei schuld. Die Union wiederum beschuldigte ihren Koalitionspartner, in die Gesundheitsreform nachträglich nicht abgesprochene Klauseln eingefügt zu haben. Das ist der Stoff, mit dem man sich lange streiten, aber auch schnell trennen kann.
LINKS
(1) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,438772,00.html (2) http://www.ftd.de/politik/deutschland/114291.html (3) http://www.cduhessen.de/home/details.cfm?nr=5246 (4) http://www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php?Nr=14321 (5) http://www.die-gesundheitsreform.de/ (6) http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5916516_NAV_REF1,00 .html |