telepolis vom 01.11.06Bulgarien bestätigt die osteuropäische Farbenlehre Peter Nowak Wo Ex-Kommunisten für Marktwirtschaft und EU eintreten, gerieren sich rechte Parteien und Bewegungen als Sprachrohr der Modernisierungsverlierer Das Ergebnis war nur noch für eine Meldung in den hinteren Teil der Zeitungen gut. Der bulgarische Präsident Georgi Parwanow von den zu Sozialdemokraten gewendeten Ex-Kommunisten gewann in der Stichwahl am vergangenen Sonntag mit großem Abstand. Alles andere wäre auch eine handfeste Überraschung gewesen. Schließlich musste er gegen den Ultrarechten Volen Siderow (1) in die Stichwahl, weil die Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang eine Woche zuvor unter dem nötigen Quorum von 50 % geblieben war. Es gab ein kurzes Erschrecken in den Medien (2). Doch der Wahlausgang hat die Normalität wieder hergestellt. Die EU und die heimische Wirtschaft können aufatmen. Wahrscheinlich hätten vor 15 Jahren wenige für möglich gehalten, wie sehr ihnen ein Erfolg der gewendeten Kommunisten am Herzen liegt. Doch das bulgarische Wahlergebnis liegt tatsächlich im osteuropäischen Trend. Ob in Polen, Ungarn, oder jetzt in Bulgarien, überall sind die aus den Kommunistischen Parteien hervorgegangenen Sozialdemokraten die eifrigsten Befürworter von Marktreformen und einem schnellen Beitritt zur EU. Deswegen hatten auch die Proteste der letzten Wochen in Budapest keine Chance. Da mochten manche Demonstranten noch so vehement den Vergleich mit der orangenen Revolution in der Ukraine beschwören. Die Schlaueren unter ihnen haben den gravierendsten Unterschied längst erkannt. Die EU-Gremien aber auch die heimische Wirtschaft fürchten nichts mehr als eine Rückkehr der rechten Opposition in Ungarn an die Macht. Die rechtskonservative FIDESZ (3) betont zwar die gemeinsamen Werte im Kampf gegen den Kommunismus. Wichtiger ist heute jedoch ihre Haltung zur EU und zur Umgestaltung der Wirtschaft des Landes im Sinne der Brüsseler Vorgaben. In dieser Frage haben die regierenden Sozialdemokraten deutlich bekundet, dass sie bereit sind, unpopuläre Maßnahmen mitzutragen und dafür notfalls sogar die Sympathie bei der Bevölkerung einzubüßen. Die Opposition hingegen, die in ihrer Regierungszeit durchaus ebenfalls für einen schnellen EU-Beitritt votierte, geriert sich als Sprachrohr der sogenannten Verlierer der euphemistisch Modernisierung genannte Umgestaltung im Sinne des Wirtschaftsliberalismus. Deren Zahl ist gar nicht so klein. Vor allem in den kleinen Städten und auf dem Lande fürchtet man nicht ohne Grund um die Konkurrenzfähigkeit der heimischen Produkte. Die Forderungen nach protektionistischen Schutzmaßnahmen für die heimischen Produkte, wie sie von FIDESZ erhoben wurden, stoßen in diesen Kreisen auf große Sympathie. Nun hoffen die regierenden Sozialdemokraten und ihre Freunde in Brüssel, dass sich bis zum nächsten regulären Wahltermin die Wut zumindest so weit gelegt hat, dass die jetzt regierenden Parteien weiter regieren können. Andererseits wird auch darauf gesetzt, dass sich die Konservativen den viel gerühmten Sachzwängen beugen und selber die Brüsseler Vorgaben übernehmen. Politische Beobachter neigen eher zu der Annahme, dass die EU-kritische und wirtschaftsprotektionistische Haltung konservativer Parteien in Osteuropa zunimmt. Sie bieten sich damit den Menschen als Sprachrohr an, die sich sozial und wirtschaftlich zu den Verlierern der neuen Entwicklungen zählen. Doch diese Positionierung ist auch für die rechten Parteien nicht unproblematisch und mit Spaltungen verbunden. So konnten die Sozialdemokraten in Ungarn die Wahlen auch deshalb gewinnen, weil der wirtschaftsliberale Bund Freier Demokraten wegen der EU-skeptischen Töne sich strikt weigerte, mit der FIDESZ auch nur taktische Bündnisse einzugehen. Praxistest Regierung . In Polen hatte eine EU-freundliche Linke derart abgewirtschaftet, dass ihr selbst eine tief gespaltene Rechte nicht die Macht erhalten konnte. Die wirtschaftsliberale PO wurde bald zu den schärfsten Kritikern der heterogenen Parteienkonstellation, die die unterschiedlichen Spektren der "Modernisierungsverlierer" gut abbildet. Da sind erzkatholische Traditionalisten ebenso vertreten, wie kleine Landwirte, die fürchten, von der EU-Konferenz nieder konkurriert zu werden. Dass deren Partei Samoobrona mal als rechts- und mal als linkspopulistisch bezeichnet wird, zeigt die Schwierigkeiten einer Klassifizierung. Dabei sind bei all diesen Bewegungen Anleihen aus einer älteren nationalistischen und konservativen Strömung, die dem modernen Kapitalismus zutiefst ablehnend gegenüberstand, unschwer festzustellen. Die innen- und außenpolitischen Probleme der polnischen Regierung zeigen auch die Probleme einer EU-skeptischen Rechten an der Macht auf. Durch ständige Kampagnen gegen Gegner im eigenen Land muss von dem Misserfolg der eigenen Regierung abgelenkt werden. Andererseits zeigten die Kommentare zum Kaczynski-Besuch, wie selbst in liberalen deutschen Medien (4) das östliche Nachbarland zum Buhmann gemacht wird, wie die Polen-Beauftragte der Bundesregierung Gesine Schwan schon vor Wochen beobachtete (5). Man lässt eben deutlich spüren, dass man die Regierung nicht mag. Das gilt allerdings in den wenigen osteuropäischen Ausnahmefällen, wo man die EU-Skepsis nicht eindeutig im rechten Lager verorten kann. So stellte in der Slowakei eine von konservativen Parteien gestellte Regierung die Weichen für die neoliberale Umstrukturierung (http://www.slowakei-net.de/deutsch/slowakei_preview.html?body_politik-n ews.html). Den Unmut in Teilen der Bevölkerung kanalisierte mit der Smer eine Partei, die sich selbst ins linke Lager verortete und auch Mitglied der Sozialistischen Internationale war (http://www.bpb.de/themen/7U8FKK,0,0,Parteien.html ). Dort wurde sie ausgeschlossen, weil sie mit einer kleinen rechten SNS koalierte, die durchaus mit der bulgarischen Ataka (6) des neuen Oppositionsführers verglichen werden kann. Während die Partei in der Slowakei vor allem gegen Roma mobilisiert, versucht Ataka den Unmut gegen die türkische Minderheit zu kanalisieren. Die Partei wird sich jetzt als stärkste Oppositionskraft zu profilieren versuchen. Schließlich hat sie die EU-treue bulgarische Rechte, wozu auch eine Partei des ehemaligen Zaren und späteren Ministerpräsidenten Simeon Sakskoburggotski (7) gehörte, einstweilen beerbt.
LINKS
(1) http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID6027772_REF1_NAV_BA B,00.html (2) http://hna.de/politikstart/00_20061029195004_Politisches_Chaos_im_Osten. html (3) http://www.fidesz.hu (4) http://www.fr-aktuell.de/in_und_ausland/politik/meinung/kommentare_aus_d er_zeitung/?em_cnt=999993& (5) http://www.tagesspiegel.de/medien/archiv/18.10.2006/2841556.asp (6) http://www.ataka.bg/ (7) http://de.wikipedia.org/wiki/Simeon_Sakskoburggotski |