telepolis vom 7.6.06 Wirbel um Ahmadinedschad Peter Nowak Während deutsche Politiker nicht wissen, wie sie auf einen eventuellen Besuch des iranischen Fußballweltmeisterschaft reagieren sollen, formiert sich breiter zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen seinen Besuch - dafür kommt jetzt erst einmal der iranische Vizepräsident Kommt er oder kommt er nicht? Das ist mittlerweile die große Frage. Es geht um den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, der es schon vor dem Beginn der Weltmeisterschaften geschafft hat, zum Medienstar zu werden. Allerdings hat Iran schon mit einer Überraschung aufgewartet. Der iranische Vizepräsident Mohammed Aliabadi kommt (1) bereits zum Eröffnungsspiel der WM nach München und wird sich dann das erste Spiel des iranischen Teams in Nürnberg am Sonntag anschauen. In Nürnberg finden an diesem Tag Demonstrationen gegen die iranische Politik statt. So hat die Israelitische Kultusgemeinde zu einer Kundgebung aufgerufen (2), auf der Arno Hamburger von der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, der bayerische Innenminister Günther Beckstein, der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly, Claudia Roth von den Grünen und Michel Friedman sprechen werden. Der iranische Präsident scheint die Aufregung zu genießen und spielt kräftig mit. Hat er noch vor wenigen Tagen erklärt, er sei zwar ein großer Fußballfan, wisse aber nicht einmal, ob er Zeit finden wird, die Spiele im Fernsehen zu sehen, scheint er jetzt umdisponiert zu haben. So hat Ahmadinedschad nun angekündigt, dann nach Deutschland zu kommen, wenn es dem iranischen Team gelingt, das Achtelfinale zu erreichen. Damit droht eine Horrorvorstellung der deutschen Politik wahr zu werden. Wie soll sie mit Ahmadinedschad umgehen, der spätestens seit seinem Spiegel-Interview zum Idol aller Holocaustrelativierer geworden ist. Zuvor hat er schon mit seinen Tiraden gegen Israel Furore gemacht. So haben Neonazis schon Sympathiedemonstrationen mit Ahmadinedschad angekündigt, auch wenn vermutlich keine stattfinden werden. Auch in Nürnberg sei keine Demonstration angekündigt.. Politiker aller Parteien haben mittlerweile deutlich gemacht, dass sich der iranische Präsident nicht auf das Motto der Fußballweltmeisterschaft "Zu Gast bei Freunden" berufen könne. Der innenpolitische Sprecher der SPD Dieter Wiefelspütz vollführte allerdings einen wahren Eiertanz um die Frage, was zu tun ist, wenn er trotzdem kommt. "Die Bundesrepublik Deutschland hat als Staat ein Problem damit, einen Staatspräsidenten unfreundlich zu behandeln. Wir können die Tür nicht zumachen, wenn er anklopft", sagte er der Berliner Zeitung. Davon können iranische Flüchtlinge nur träumen. Entschiedener äußerte sich der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen Volker Beck. Man müsse den iranischen Präsidenten durch friedliche Demonstrationen zeigen, dass er - im Gegensatz zu den iranischen Fußballfans - bei uns nicht willkommen ist, regte er in der Netzzeitung an. Die Grünenvorsitzende Claudia Roth wird auch eine der Rednerin auf einer Protestkundgebung (3) gegen den iranischen Präsidenten und sein, zu der am 11. Juni in Nürnberg verschiedene jüdischen Organisationen aufrufen. In dem Aufruf wird die entschiedene Ablehnung jeglichen Antisemitismus mit einem Bekenntnis zu Israel gekoppelt. Ähnliche Kundgebungen sind für den 17.Juni in Frankfurt/Main und den 21.Juni in Leipzig immer parallel zu den Spielen der iranischen Mannschaft geplant. "Wir rufen alle Demokraten auf, sich mit Israel zu solidarisieren und gegen Antisemitismus ihr Gesicht zu zeigen. ... Europas Demokratie, Freiheit und Frieden werden in Israel verteidigt", heißt es dort. Mittlerweile kursieren im Netz verschiedene Aufrufe, die ein Einreiseverbot für Ahmadinedschad für alle EU-Staaten fordern (4). Dabei beruft man sich auf eine ähnliche Maßnahme gegen den weißrussischen Präsidenten Lukaschenko. Der iranische Vizepräsident Mohammed Aliabadi hat allerdings seine Einreisegenehmigung bereits erhalten. Eine weitere Initiative fordert gar eine Anklage gegen den iranischen Präsidenten wegen Holocaustleugnung (5), die in Deutschland und anderen EU-Staaten ein Straftatbestand ist. Realpolitische Wende der israelsolidarischen Linken Schon vor einigen Monaten hatte der Publizist Micha Brumlik (6) eine solche Initiative in der grünennahen Tageszeitung propagiert (7). Damals war die Resonanz noch verhalten. Das kann man jetzt nicht mehr behaupten. Das Unterstützerspektrum ist erstaunlich breit. Das zeigte die Unterschriftenliste unter einen Aufruf unter dem Motto Keine Gastfreundschaft für Volksverhetzer (8), der am vergangenen Freitag in der FAZ abgedruckt war. Neben der ehemaligen DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Frankfurter Römer Lutz Sikorski und dem grünen Europaabgeordneten Cem Özdemir sind auch zahlreiche Personen und Initiativen aus dem linken israelsolidarischen Spektrum vertreten, darunter sogar das Zeitschriftenprojekt Bahamas (9). Damit setzt sich die realpolitische Wende in diesem Spektrum, das sich bis vor einigen Jahren als antideutsche Fundamentalopposition verstanden hat, weiter fort. Mittelfristig dürfte sich ein Großteil dieser Strömung auch länderübergreifend vernetzten. Denn mittlerweile hat sich auch in Großbritannien, Italien und anderen westeuropäischen Ländern eine linksreformerische Strömung (10) formiert, die sich eindeutig als israelsolidarisch versteht und vor einer Dämonisierung der USA warnt.
LINKS
(1) http://sport.ard.de/wm2006/wm/vorort/br/news06/07/nuernberg-vor-dem-iran -mexiko-spiel.jhtml (2) http://www.zentralratdjuden.de/de/article/990.html (3) http://honestlyconcerned.info/bin/articles.cgi?ID=PR7106&Category=pr&Sub category=16 (4) http://honestlyconcerned.info/bin/articles.cgi?ID=PR5006&Category=pr&Sub category=16 (5) http://www.spme.net/cgi-bin/display_petitions.cgi?ID=1 (6) http://www.uni-frankfurt.de/fb/fb04/personen/brumlik.html (7) http://www.taz.de/pt/2005/12/16/a0153.1/text (8) http://www.israelnetz.de/show.sxp/11429.html?wow=new&sxpident=9015810649 61-l-2608080--QN--351506-Cbo1429111O1232 (9) http://www.redaktion-bahamas.org/ (10) http://eustonmanifesto.org |